Zum Vorlagebeschluss des FG Niedersachsen an das BVerfG zur Vereinbarkeit der Abgeltungsteuer mit Art. 3 Abs. 1 GG
[Ohne Titel]
Dipl.-Kffr. Dr. Isabel Gabert-Pipersberg, LL.M.
Das FG Niedersachsen (FG Niedersachsen v. 18.3.2022 – 7 K 120/21, juris) wollte mit einem über 500 Randnummern umfassenden Vorlagebeschluss eine Entscheidung des BVerfG darüber einholen, ob § 32d Abs. 1 EStG i.V.m. § 43 Abs. 5 EStG in den in den Jahren 2013, 2015 und 2016 geltenden Fassungen insoweit mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar sind, als dass diese Regelungen für Einkünfte aus privaten Kapitalerträgen einen gesonderten Steuersatz i.H.v. 25 % mit abgeltender Wirkung vorsehen. Der vorlegende Senat war der Meinung, dass die Abgeltungsteuer gegen die in Art. 3 Abs. 1 GG verankerte Vorgabe der Gleichbehandlung aller Einkunftsarten und einer gleichmäßigen Besteuerung nach der individuellen Leistungsfähigkeit verstoße. Zwar wurde der Vorlagebeschluss nach Erledigung der Hauptsache durch Beschluss vom 10.8.2022 aufgehoben (FG Niedersachsen v. 10.8.2022 – 7 K 120/21, juris). Dennoch ist eine nähere Betrachtung des Vorlagebeschlusses lohnenswert, enthält er doch u.a. eine detaillierte Auseinandersetzung mit der Entwicklung der Rechtfertigungsgründe für die Abgeltungsteuer seit ihrer Einführung.
I. Einleitung
Die Abgeltungsteuer wurde zum 1.1.2009 durch das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 eingeführt. Seitdem unterliegen bestimmte private Einkünfte aus Kapitalvermögen nach § 32d Abs. 1 EStG einem Steuersatz von 25 %.
Hieraus ergibt sich eine Sonderbehandlung dieser § 32d EStG unterfallenden privaten Kapitalerträge, weil sie einheitlich mit 25 % besteuert werden und nicht – wie die Einkünfte aus anderen Einkunftsarten – dem progressiven Einkommensteuertarif des § 32a EStG unterliegen. Der Steuersatz nach § 32d EStG für private Einkünfte aus Kapitalvermögen liegt erheblich unter dem Spitzensteuersatz bei den progressiv besteuerten Einkunftsarten von 42 % bzw. 45 %.
Das FG Niedersachsen spricht in seinem Vorlagebeschluss daher auch von "Sondersteuersatz" und sieht hierin einen Verstoß gegen die in Art. 3 Abs. 1 GG verankerte Vorgabe
- der Gleichbehandlung aller Einkunftsarten und
- einer gleichmäßigen Besteuerung nach der individuellen Leistungsfähigkeit.
II. Gründe für die Einführung der Abgeltungsteuer
Diese Ungleichbehandlung war zwar dem damaligen Bundesfinanzminister schon vor der Einführung der Abgeltungsteuer bewusst; er erkannte zudem, dass der gesonderte Steuersatz von 25 % für Einkünfte aus Kapitalvermögen verteilungspolitisch umstritten sei.
1. Transfer von Kapitalvermögen ins Ausland vermeiden und Steuersubstrat längerfristig in Deutschland halten
Aber er sah Reformbedarf bei der Besteuerung von Kapitaleinkommen privater Haushalte, weil jährlich Kapitalvermögen von Privatpersonen in Milliardenhöhe ins Ausland transferiert wurde. Dieser Abwanderung von Kapital ins Ausland sollte durch die Einführung der Abgeltungsteuer entgegengetreten werden mit dem Ziel, das entsprechende Steuersubstrat längerfristig in Deutschland zu halten. Es sollte so das Interesse privater Anleger gemindert werden, Kapital einzig aus steuerlichen Gründen ins Ausland zu verlagern, wo Kapitalerträge durch die – zumindest damals noch existierenden – strikten Bankgeheimnisse einiger Staaten und Einschränkungen des internationalen Auskunftsverkehrs in Steuersachen einer Besteuerung in Deutschland entzogen werden konnten.
2. Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens und Bürokratieentlastung
Als weiterer Grund für die Einführung der Abgeltungsteuer wurde eine wesentliche Vereinfachung des Besteuer...