Leitsatz
1. Das – für die Höhe des Besteuerungsanteils maßgebliche – "Jahr des Rentenbeginns" (§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 3 EStG) ist das Jahr, in dem der Rentenanspruch entstanden ist, also seine Voraussetzungen erfüllt sind.
2. Wird der Beginn des Renteneintritts auf Antrag des Rentenberechtigten zur Erlangung eines höheren Rentenanspruchs über das Erreichen der Regelaltersgrenze hinaus aufgeschoben, ist der Zeitpunkt maßgeblich, den der Rentenberechtigte in Übereinstimmung mit den entsprechenden Rechtsgrundlagen des für ihn geltenden Versorgungssystems als Beginn seiner aufgeschobenen Altersrente bestimmt.
3. Der erstmals für das Jahr, das dem Jahr des Rentenbeginns folgt, zu ermittelnde steuerfreie Teilbetrag der Rente hat für Folgejahre keine Bindungswirkung. Ein eventueller Fehler, der dem FA in einem bestandskräftig veranlagten Vorjahr bei der Ermittlung des steuerfreien Rententeilbetrags unterlaufen ist, ist daher nicht in die Folgejahre zu übernehmen.
Normenkette
§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Sätze 3 und 5 EStG, § 157 Abs. 2, § 179 Abs. 1, § 182 Abs. 1 Satz 1 AO
Sachverhalt
Der Kläger ist Mitglied eines berufsständischen Versorgungswerks (V). Entsprechend der in der Satzung der V eingeräumten Möglichkeit vereinbarte er mit V, den Beginn der Rentenzahlung von der Vollendung seines 65. Lebensjahres (2009) um den höchstmöglichen Zeitraum von 36 Monaten hinauszuschieben. Damit erhielt der Kläger erst im Jahr 2012 die ersten Rentenzahlungen.
Das FA ermittelte den steuerfreien Teil der Rente gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 4 EStG, indem es auf den Rentenbetrag des dem tatsächlichen Beginn der Rentenzahlungen folgenden Jahres (2013) den für einen Rentenbeginn im Jahr 2012 geltenden gesetzlichen Besteuerungsanteil von 64 % anwandte, sodass sich ein nicht der Besteuerung unterliegender Anteil von 36 % ergab. Der Kläger begehrte demgegenüber, von einem Rentenbeginn im Jahr 2009 – und damit von einem Besteuerungsanteil von lediglich 58 % – auszugehen, weil bereits zu diesem Zeitpunkt ein Anspruch auf Altersrente bestanden habe. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg (Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 2.9.2020, 2 K 159/19, Haufe-Index 14205801, EFG 2021, 41).
Entscheidung
Die Revision war aus den unter den Praxis-Hinweisen dargestellten Erwägungen unbegründet.
Hinweis
1. Leibrenten, die u.a. aus den berufsständischen Versorgungswerken erbracht werden, gehören zu den Einkünften aus wiederkehrenden Bezügen (§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 1 EStG). Der Anteil, der im Rahmen der Übergangsregelung der Besteuerung unterliegt, bestimmt sich nach dem Jahr des Rentenbeginns und dem für dieses Jahr maßgebenden Prozentsatz; Letzterer ist der in § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 3 EStG enthaltenen Tabelle zu entnehmen.
2. Ebenso wie vor Inkrafttreten des AltEinkG ist auch nach derzeitiger Rechtslage der Beginn der Rente der Zeitpunkt des Entstehens des Rentenanspruchs – also die Erfüllung seiner Voraussetzungen – anzusehen. Das BMF nennt dementsprechend als "Rentenbeginn" denjenigen Zeitpunkt, "ab dem die Rente (ggf. nach rückwirkender Zubilligung) tatsächlich bewilligt wird (siehe Rentenbescheid)".
3. In Fällen, in denen der Beginn des Renteneintritts auf Antrag des Rentenberechtigten zur Erlangung eines höheren Rentenanspruchs über das Erreichen der Regelaltersgrenze hinaus aufgeschoben wird, ist zur Bestimmung des "Jahres des Rentenbeginns" der Zeitpunkt maßgeblich, den der Rentenberechtigte in Übereinstimmung mit den entsprechenden Rechtsgrundlagen des für ihn geltenden Versorgungssystems als Beginn der aufgeschobenen Altersrente bestimmt.
4. Eine negative Konsequenz des aufgeschobenen Beginns der Altersrente liegt darin, dass der Steuerpflichtige einen (bis 2019 um zwei Prozentpunkte p.a., ab 2020 um einen Prozentpunkt p.a.) höheren Anteil der Rente zu versteuern hat. Dieses ist kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz, weil die gesetzliche Typisierung mit dem Abstellen auf das Jahr des jeweiligen Rentenbeginns auf einem sachlichen Grund beruht und die Unterschiede der verwirklichten Sachverhalte – die zudem vom Willen des Steuerpflichtigen abhängig und daher von ihm beeinflussbar sind – aufnimmt.
5. Umgekehrt kann sich die gesetzliche Typisierung auch zugunsten des Steuerpflichtigen auswirken. Bei einem vorzeitigen Renteneintritt wird nämlich ebenfalls auf das Jahr abgestellt, in dem die entsprechenden Voraussetzungen für die bezogene vorgezogene Altersrente – einschließlich der dafür erforderlichen Antragstellung – erfüllt sind. Damit ist für diese Renten, die bereits zu einem früheren Zeitpunkt beginnen, der geringere Besteuerungsanteil anzusetzen.
6. Das Besprechungsurteil enthält zudem einen verfahrensrechtlichen Hinweis. Anders als das FG wohl meinte, entfaltet der erstmals für das dem Jahr des Rentenbeginns folgende Jahr zu ermittelnde steuerfreie Teilbetrag der Rente für die Folgejahre keine Bindungswirkung. Unterläuft dem ...