1.2.1 Handelsrecht
Einzelkaufleute, die an den Abschlussstichtagen von 2 aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren oder bei einer Neugründung am ersten Abschlussstichtag nach der Neugründung nicht mehr als jeweils 600.000 EUR Umsatzerlöse und jeweils 60.000 EUR Jahresüberschuss aufweisen, brauchen keinen Jahresabschluss aufzustellen. Sie können ihre Gewinne durch Einnahmen-Überschussrechnung ermitteln, solange die genannten Schwellenwerte nicht überschritten werden.
Bei Neugründungen treten die Rechtsfolgen schon ein, wenn die genannten Grenzen am ersten Abschlussstichtag, der der Gründung folgt, nicht überschritten werden.
1.2.2 Steuerrecht
Einzelunternehmen, welche die Schwellenwerte nicht überschreiten und handelsrechtlich keinen Jahresabschluss aufstellen, sind hierdurch nicht auch steuerrechtlich von der Verpflichtung zur Buchführung und Aufstellung von Jahresabschlüssen befreit. Wer nach außersteuerlichen Gesetzen, hier also nach dem Handelsrecht, zur Buchführung und damit zur Aufstellung von Jahresabschlüssen verpflichtet ist, hat zwar diese Pflichten auch für die Besteuerung zu erfüllen. Besteht aber handelsrechtlich keine Verpflichtung zur Buchführung und Aufstellung von Jahresabschlüssen, folgt hieraus nicht ohne Weiteres eine Befreiung für die Besteuerung.
§ 140 AO knüpft nur an außersteuerliche Verpflichtungen an. Besteht daher handelsrechtlich keine Verpflichtung, ist für die Besteuerung noch zu prüfen, ob sich aus § 141 AO eine Befreiung von der Verpflichtung zur Buchführung und Aufstellung von Jahresabschlüssen ergibt. Nach § 141 AO sind gewerbliche Unternehmer ab einem Umsatz von mehr als 600.000 EUR einschließlich steuerfreier Umsätze oder einem Gewinn von mehr als 60.000 EUR verpflichtet, Abschlüsse zu machen. Wird diese Grenze überschritten, so ist der Steuerpflichtige nicht sofort verpflichtet, zur Bilanzierung überzugehen. Vielmehr beginnt die Verpflichtung zur Bilanzierung erst mit Beginn des Wirtschaftsjahres, welches auf die Bekanntgabe der Mitteilung von der zuständigen Finanzbehörde folgt.
Beginn der Verpflichtung zur Bilanzierung
Der Gewerbetreibende U erwirtschaftet im Jahr 2016 einen Gewinn aus Gewerbebetrieb in Höhe von 65.000 EUR. Auch in den Jahren 2017 bis 2021 erwirtschaftet U Gewinne von mehr als 60.000 EUR pro Jahr. Erst Mitte des Jahres 2021 fordert das zuständige Finanzamt U zur Buchführungspflicht auf. Zum 1.1.2022 hat U daher eine Eröffnungsbilanz zu erstellen und eine Buchführung einzurichten. Auf den 31.12.2022 hat er eine Bilanz sowie Gewinn- und Verlustrechnung aufzustellen. Ab diesem Zeitpunkt ist es nicht mehr zulässig, eine Einnahmen-Überschussrechnung abzugeben.
Umgekehrt endet die Buchführungspflicht mit Ablauf des Wirtschaftsjahres, das auf das Wirtschaftsjahr folgt, in dem die Finanzbehörde feststellt, dass die Verpflichtung zur Buchführung nicht mehr vorliegt.
Prüfung steuerlicher Buchführungspflicht trotz handelsrechtlicher Befreiung
In den handelsrechtlichen Jahresabschlüssen des Einzelkaufmanns U war in den Geschäftsjahren 01 und 02 jeweils der Schwellenwert von 60.000 EUR unterschritten, weil in beiden Jahren eine Rückstellung für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften auszuweisen war. Für 03 machte U daher von der Befreiung Gebrauch. Diese Rückstellung darf im steuerlichen Abschluss nicht bilanziert werden. Es war daher noch zu prüfen, ob für die steuerliche Buchführungspflicht die Schwellenwerte von § 141 AO überschritten waren.