Spricht der Arbeitgeber eine krankheitsbedingte Kündigung aus, ohne vorher ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchgeführt zu haben, ist es fast aussichtslos, einen entsprechenden Kündigungsschutzprozess zu gewinnen. Zwar ist die Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für den Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung. Allerdings hat das BAG entschieden, dass der Arbeitgeber aufgrund seiner gesetzeswidrigen Untätigkeit keine Vorteile im Rechtsstreit erlangen dürfe. Daher müsse er vortragen, dass auch bei Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements kein für den Arbeitnehmer geeigneter Arbeitsplatz gefunden worden wäre. Das musste der Arbeitgeber für alle Arbeitsplätze des Betriebes vortragen.
Oft reagieren Arbeitnehmer auf das Angebot eines betrieblichen Eingliederungsmanagements nicht oder es führt zu keinem Ergebnis. Es stellt sich dann die Frage, wie lange mit einer krankheitsbedingten Kündigung zugewartet werden kann, bevor ein neues betriebliches Eingliederungsmanagement angeboten oder durchgeführt werden muss.
Der Fall
Der gegen eine Kündigung klagende Arbeitnehmer war im Jahr 2017 an 40 Arbeitstagen, im Jahr 2018 an 61 Arbeitstagen und im Jahr 2019 an 103 Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt. Der Beklagte hatte ihn zu einem betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) eingeladen und ein BEM-Gespräch wurde am 5.3.2019 durchgeführt. Nach diesem Termin war der Arbeitnehmer weitere 79 Tage arbeitsunfähig krank. Der beklagte Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 26.2.020 ordentlich und personenbedingt. Der Kläger erhob Kündigungsschutzklage.
Die Klage war erfolgreich: Der Arbeitgeber hat grundsätzlich ein neuerliches BEM durchzuführen, wenn der Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres nach Abschluss eines BEM erneut länger als 6 Wochen durchgängig oder wiederholt arbeitsunfähig erkrankt war. Die Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements beeinflusst die Darlegungslast. Dem beklagten Arbeitgeber hätte die Darlegung oblegen, dass auch mit Hilfe eines (weiteren) BEM keine milderen Mittel als die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hätten erkannt oder entwickelt werden können. Der Beklagte war nach § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX verpflichtet, die Initiative für ein erneutes BEM zu ergreifen, selbst wenn er bereits am 5.3.2019 ein BEM mit dem Kläger durchgeführt hatte. Dieser Verpflichtung ist er nicht nachgekommen. Die Kündigung wurde für unverhältnismäßig erachtet.
Bedeutung für die Praxis
Die "Haltbarkeitszeit" eines betrieblichen Eingliederungsmanagements ist damit vom BAG klargestellt worden. Sie geht nur so lange, bis erneut 6 Wochen Arbeitsunfähigkeit zusammengekommen sind. Für die Praxis ist von Bedeutung, dass ein BEM-Verfahren bei entsprechenden Arbeitsunfähigkeitszeiten immer wieder und wiederholt angeboten und durchgeführt werden muss. Bei Arbeitnehmern, die langzeitkrank sind, muss das BEM theoretisch alle 6 Wochen angeboten werden. Das ist lebensfremd. Solange der Arbeitgeber keine Kündigung beabsichtigt, ist das unterlassene Angebot zunächst ohne Konsequenzen. Vor Ausspruch einer Kündigung ist das BEM dann auf jeden Fall nochmals (korrekt) anzubieten.
In einer weiteren Entscheidung hat das BAG entschieden, dass der einzelne Arbeitnehmer keinen individuellen Anspruch auf die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements hat. Nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 167 Abs. 2 SGB IX steht ein solcher Anspruch nur der Arbeitnehmervertretung zu. Das bedeutet allerdings nicht, dass der Arbeitgeber sich der Pflicht zur Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements stets folgenlos entziehen kann. Ein über einen längeren Zeitraum hinweg unterlassenes betriebliches Eingliederungsmanagement kann zur Schadensersatzpflicht führen, wenn bei zeitgerechter und zeitnaher Durchführung des Eingliederungsmanagements für den Arbeitnehmer eine Beschäftigungsmöglichkeit gefunden worden wäre. Höchstrichterlich ist diese Frage aber noch nicht geklärt.