9.9.1 Anordnung von PCR-Tests durch den Arbeitgeber
Der Fall
Die Parteien streiten über Vergütung wegen Annahmeverzugs in der Zeit vom 24.8.2020 bis zum 29.2.2021 – hilfsweise Vergütung der Zeiten häuslichen Übens – und über die Beschäftigung der Arbeitnehmerin. Hauptstreitpunkt ist dabei die Verpflichtung der Arbeitnehmerin, sich zur Ausübung ihrer Tätigkeit als Flötistin an der Bayerischen Staatsoper auf eine Infektion mit SARS-CoV-2 (Coronavirus) testen zu lassen.
Die Arbeitnehmerin war seit dem 1.3.1997 bei der Bayerischen Staatsoper als Flötistin tätig. Zur Verhinderung von Ansteckungen der Arbeitnehmer mit SARS-CoV-2 wurde bei der Bayerischen Staatsoper im Jahr 2020 u. a. durch einen Umbau die Fläche für das Orchester vergrößert. Zudem wurden Plexiglas-Trennscheiben aufgestellt, Kürzungen und Umstellungen bei den aufzuführenden Stücken vorgenommen und die Zu- und Abtritte der Orchestermusiker genau geregelt und markiert. Soweit möglich, mussten Mund-Nasen-Bedeckungen getragen werden. Darüber hinaus hat die Bayerische Staatsoper nach Beratung, u. a. durch das Institut für Virologie der Technischen Universität München und ein Klinikum, im Rahmen ihres laufend fortentwickelten betrieblichen Hygienekonzepts eine Teststrategie entwickelt. Danach mussten in der Spielzeit 2020/2021 alle Mitarbeitenden nach den Theaterferien bei Dienstantritt im August 2020 einen negativen PCR-Testbefund vorlegen. Folgetestungen sollten für Orchestermusiker wie die Klägerin alle ein bis drei Wochen stattfinden. Die Bayerische Staatsoper bot hierfür kostenlose PCR-Tests an. Alternativ konnten die Mitarbeitenden PCR-Testbefunde eines von ihnen selbst ausgewählten Anbieters vorlegen.
Der Arbeitnehmerin wurde mitgeteilt, dass sie für die Teilnahme an Proben und Aufführungen, die im streitgegenständlichen Zeitraum auch stattgefunden haben, einen negativen PCR-Testbefund vorlegen müsse. Die Arbeitnehmerin erklärte, dass sie sich einem Test auf SARS-CoV-2 nicht unterziehen werde. Der Arbeitgeber beschäftigte sie daraufhin nicht mehr und stellte die Gehaltszahlung ein. Die Arbeitnehmerin hat verlangt, ohne Verpflichtung zur Durchführung von PCR-Tests sowie Tests jedweder Art zur Feststellung von SARS-CoV-2 als Flötistin beschäftigt zu werden. Weiter hat sie Vergütung wegen Annahmeverzugs geltend gemacht, hilfsweise Vergütung für häusliches Üben während dieser Zeit.
Das BAG hat die Klage abgewiesen, denn die Arbeitnehmerin war verpflichtet, vor Dienstantritt nach den Theaterferien einen PCR-Test auf eine Infektion mit SARS-CoV-2 und ebenso die nach dem Schutz- und Hygienekonzept der Bayerischen Staatsoper vorgesehenen Folgetestungen durchführen zu lassen. Da sie dem im Streitzeitraum nicht nachgekommen ist, konnte der beklagte Freistaat die Entgeltzahlung einstellen. Sie kann keine Vergütung unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs verlangen.
Gemäß § 297 BGB gerät der Arbeitgeber nicht in Annahmeverzug, wenn der Arbeitnehmer außer Stande ist, die geschuldete Arbeitsleistung aus in seiner Person liegenden Gründen zu bewirken. Die Arbeitnehmerin war nicht leistungswillig, weil sie sich geweigert hat, der Anordnung der Bayerischen Staatsoper Folge zu leisten, vor der Teilnahme an Proben und Aufführungen einen PCR-Test durchzuführen.
Das Arbeitsschutzgesetz bildet den gesetzlichen Rahmen des öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutzes, der die Schutzpflichten des § 618 BGB näher ausgestaltet. Der Arbeitgeber hat – soweit dies erforderlich und zumutbar ist – das Ansteckungsrisiko auch für andere Arbeitnehmende bei der Arbeit möglichst gering zu halten. Bei der Umsetzung der Schutzpflichten nach § 3 ArbSchG hat der Arbeitgeber die Leitlinien des § 4 ArbSchG zu beachten. Danach sind vorrangig technische, dann organisatorische und zuletzt persönliche Maßnahmen des Arbeitsschutzes zu ergreifen. Bei den Anordnungen, die der Arbeitgeber zur Umsetzung der ihn treffenden Schutzpflichten zu erteilen hat, handelt es sich um Weisungen i. S. v. § 106 Satz 2 GewO, welche die Ordnung und das Verhalten der Arbeitnehmenden im Betrieb betreffen. Die arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften bilden in Fällen wie diesem nach § 106 Satz 2 i. V. m. Satz 1 GewO die Grundlage des Weisungsrechts.
Daher war die auf dem im geltenden Hygienekonzept der Bayerischen Staatsoper basierende Anweisung, zu Beginn der Spielzeit 2020/2021 einen PCR-Test auf eine Infektion mit SARS-CoV-2 sowie Folgetestungen in rollierenden Abständen durchführen zu lassen, wirksam. Das Hygienekonzept der Bayerischen Staatsoper berücksichtigte die Rahmenvorgaben des Arbeitsschutzgesetzes und die zur Bekämpfung der Corona-Pandemie zur Konkretisierung erlassenen Vorschriften und Empfehlungen. Im streitgegenständlichen Zeitraum war der vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) veröffentlichte SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard vom 20.4.2020 als sachverständige Äußerung bei der Auslegung arbeitsschutzrechtlicher Normen zu berücksichtigen und ebenso die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel der beratenden A...