2.1 Sozialversicherungszweige (Abs. 1)
Rz. 6
Mit dem Wort "Sozialversicherung" wird einer der zentralen Begriffe des Sozialrechts, legal in § 4 SGB I definiert, angesprochen. Hierzu rechnen
- Krankenversicherung,
- Unfallversicherung,
- Rentenversicherung und
- soziale Pflegeversicherung.
Hierdurch werden einbezogen:
im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung auch die außerhalb des SGB V in Sondergesetzen geregelten Krankenversicherungen besonderer Personengruppen, z. B.
- Krankenversicherung der Künstler und Publizisten (KSVG),
- Krankenversicherung der Landwirte, ihrer mitarbeitenden Familienangehörigen und Altenteiler nach dem Zweiten Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte (KVLG),
in der gesetzlichen Rentenversicherung
- Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten (SGB VI),
- knappschaftliche Rentenversicherung (SGB VI),
- Alterssicherung der Landwirte (ALG),
- Rentenversicherung der Künstler und Publizisten (KSVG),
in der gesetzlichen Unfallversicherung
- allgemeine Unfallversicherung (SGB VII),
- landwirtschaftliche Unfallversicherung (SGB VII),
- Seeunfallversicherung (SGB VII),
- in der sozialen Pflegeversicherung (SGB XI).
Indes gelten die Vorschriften des SGB IV – wie sich schon aus dessen Überschrift ergibt – nur für den Bereich der Sozialversicherung, d. h., soweit die Pflegeversicherung betroffen ist, nur für die soziale Pflegeversicherung (§ 1 Abs. 1 SGB IV), nicht hingegen für die private Pflegeversicherung (LSG Berlin, Urteil v. 3.12.2004, L 1 RA 50/03).
Der Begriff Sozialversicherung ist so zu verstehen, dass er auch die freiwillig Versicherten bei Sozialversicherungsträgern umfasst (BSG, Urteil v. 28.1.1981, 9 RV 40/80, SozR 3100 § 10 Nr. 18).
Rz. 7
§ 1 Abs. 1 Satz 2 bestimmt, dass die Vorschriften des SGB IV mit Ausnahme des Ersten und Zweiten Titels des Vierten Abschnitts und des Fünften Abschnitts auch für die Arbeitsförderung gelten. Ausgenommen sind damit die Regelungen über
- die Verfassung der Träger der Sozialversicherung (Erster Titel §§ 29 bis 42),
- die Zusammensetzung, Wahl und Verfahren der Selbstverwaltungsorgane, Versichertenältesten und Vertrauenspersonen (Zweiter Titel §§ 43 bis 66),
- die Versicherungsbehörden (Fünfter Abschnitt §§ 91 bis 94).
An deren Stelle gelten als Spezialvorschriften u. a.
- §§ 371 bis 380 SGB III über die Selbstverwaltung der Bundesagentur für Arbeit,
- §§ 381 bis 392 SGB III über Vorstand und Verwaltung,
- §§ 367 bis 370 SGB III über die Rechtsnatur der Bundesagentur und deren nachgeordneter Gliederungen sowie die diesen übertragenen Aufgaben.
Rz. 8
Im Ergebnis ist das SGB IV nunmehr weitgehend – mit Ausnahme der Organisationsvorschriften – auch auf das SGB III anwendbar (zur Rechtslage unter Geltung des AFG vgl. Seewald, in: MünchKomm-SGB IV, § 1 Rz. 4a). Hierdurch wird die bislang strenge Abgrenzung zwischen Sozialversicherung (im engeren Sinn) und Arbeitsförderungsrecht aufgegeben (vgl. Grüner/Dalichau, Sozialgesetzbuch, SGB IV, § 1 Rz. II). Die Arbeitslosenversicherung gehört an sich zur Sozialversicherung (Peters, Sozialgesetzbuch IV, § 1 Rz. 16). Soweit allerdings die Auffassung vertreten wird, das Arbeitsförderungsrecht sei nunmehr Teil der Sozialversicherung, kann dem nicht gefolgt werden (vgl. auch Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung, SGB IV, § 1 Rz. 1). Abs. 1 Satz 1 betrifft lediglich den Bereich der Sozialversicherung. Die Arbeitsförderung ist diesem nach der Systematik des SGB I nicht zuzuordnen (vgl. § 3 SGB I einerseits und § 4 SGB I andererseits). Diese Differenzierung nimmt § 1 Abs. 1 SGB I auf, indem in Satz 1 die verschiedenen Bereiche der Sozialversicherung i. S. d. § 4 SGB I den Regelungen des SGB IV unterworfen werden. Soweit es die Arbeitsförderung anlangt, hat es der Gesetzgeber angesichts dieser Systematik folgerichtig als notwendig angesehen, den eingeschränkten Geltungsbereich des SGB IV für die Arbeitsförderung in Satz 2 ausdrücklich zu regeln. Schon deswegen kann keine Rede davon sein, dass die Arbeitsförderung nunmehr in die Sozialversicherung einbezogen worden sei. Soweit die Gesetzesbegründung Derartiges belegen soll (vgl. BT-Drs. 7/4122, Besonderer Teil zu § 1), kann hieraus nichts hergeleitet werden, denn die Motive und Vorstellungen der gesetzgebenden Körperschaften können bei einer Gesetzesauslegung nur dann berücksichtigt werden, wenn sie im Gesetz ausreichenden Niederschlag gefunden haben (BFH, Urteil v. 23.9.1999, IV R 56/98, BFHE 189 S. 351).
Rz. 9
Abgesehen von §§ 3, 4 SGB I belegt auch § 1 Abs. 1 Satz 3 SGB IV den Unterschied zwischen Sozialversicherung einerseits und Arbeitsförderung andererseits. Hiernach gilt die Bundesagentur für Arbeit im Sinn dieses Buches als Versicherungsträger. Gesetzestechnisch handelt es sich um eine Fiktion (vgl. Paulus, in: jurisPK-SGB IV, § 1 Rz. 15). Eine solche ist gegeben, wenn der fingierte Tatbestand mit Sicherheit nicht vorliegt (Zippelius, Juristische Methodenlehre, 10. Aufl., 2006, S. 36). So liegt es hier. Die Bundesagentur für Arbeit ist zwar Leistungsträger i. S. d. § 12 SGB I. Da die Arbeitsförderung...