Rz. 11
Den Umfang der Aufsicht regelt Abs. 1 Satz 2.
Da die Versicherungsträger Teil der vollziehenden Gewalt sind, bestand bereits nach der Verfassung ihre Bindung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG).
2.6.1 Bindung an Gesetz und sonstiges Recht
Rz. 12
Gegenstand der Aufsicht sind die von den gesetzgebenden Körperschaften des Bundes und der Länder erlassenen Gesetze. Gesetze i. S. d. Abs. 1 Satz 2 sind auch die aufgrund gesetzlicher Ermächtigung ergangenen Rechtsverordnungen.
Recht aus der Zeit vor dem Zusammentritt des Bundestages (vorkonstitutionelles Recht) gilt fort, soweit es dem Grundgesetz nicht widerspricht (Art. 123 Abs. 1 GG). Wegen der zwischen Bund und Ländern konkurrierenden Gesetzgebung kann es als Bundes- oder Landesrecht fortwirken (Art. 125 GG).
Zum sonstigen Recht gehören das autonome Satzungsrecht und für allgemein verbindlich erklärte Tarifverträge sowie die Allgemeinen Verwaltungsvorschriften, die die Bundesregierung oder ein Bundesminister nach Art. 84 Abs. 2, 85 Abs. 2 und 86 Satz 1 GG zur Ausfüllung und Auslegung gesetzlicher Vorschriften erlassen hat. Auch die Einhaltung der von den Versicherungsträgern geschlossenen Verwaltungsvereinbarungen unterliegt der Rechtsaufsicht.
Verwaltungsinterne Richtlinien sind nicht unter den Begriff "sonstiges Recht" zu subsumieren. Sie sind deshalb auch grundsätzlich nicht Gegenstand von Aufsichtsmaßnahmen. Sie können aber eine Selbstbindung der Verwaltung und damit eine Ausformung des Gleichbehandlungsgebotes (Art. 3 GG) beinhalten. In diesem Fall wäre ein Verstoß gegen die Richtlinien einer aufsichtsrechtlichen Überprüfung zugänglich.
Neben den allgemeinen Rechtsgrundsätzen (z. B. Verhältnismäßigkeit, Treu und Glauben, rechtliches Gehör) haben die Versicherungsträger auch Gewohnheitsrecht zu beachten, das durch lang dauernde Übung, getragen von Rechtsüberzeugung, entsteht.
Die Aufsichtsbehörde kann die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe (z. B. Angemessenheit, öffentliches Interesse, notwendige Maßnahmen, Bedürfnis, Eignung, Zuverlässigkeit, wichtiger Grund, Leistungsfähigkeit, Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit) in vollem Umfang nachprüfen; denn es handelt sich insoweit um Rechtsanwendung, die nur eine richtige Lösung zulässt und keinen Ermessensspielraum eröffnet. Die Auslegung erfolgt abstrakt, also nicht auf den konkreten Einzelfall bezogen.
Die Anwendung auf den Einzelfall ist Aufgabe der Subsumtion. Die Frage, ob dem Versicherungsträger dabei ein Beurteilungsspielraum zugebilligt werden kann – diese Frage ist für die gerichtliche Überprüfung umstritten –, stellt sich für die Aufsichtsführung nicht in gleicher Schärfe, weil die Aufsichtsbehörde eine vertretbare Entscheidung grundsätzlich nicht beanstanden wird (vgl. § 89). Immerhin können die Auffassungen zwischen Aufsicht und Versicherungsträger darüber, was vertretbar ist, auseinandergehen. Ein Beurteilungsspielraum ist jedenfalls dann nicht gegeben, wenn die Beurteilung objektivierbar ist (vgl. BVerfGE 11 S. 190 f.; BVerwGE 16 S. 129). Das gilt auch für die Begriffe der Wirtschaftlichkeit (vgl. BSGE 11 S. 117 f.; 17 S. 84 ff.; 19 S. 127) und Sparsamkeit, die für die Sozialversicherung von besonderer Bedeutung sind; denn nach § 30 Abs. 1 dürfen die Versicherungsträger ihre Mittel nur für die gesetzlich vorgeschriebenen oder zugelassenen Aufgaben sowie für die Verwaltungskosten verwenden. Im Rahmen dieser Vorschrift und aufgrund der Erwähnung in § 69 Abs. 2 haben sie die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten.
2.6.2 Bindung an Rechtsprechung
Rz. 13
Die Entscheidungsformeln des Bundesverfassungsgerichts, die nach § 31 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) im Bundesgesetzblatt veröffentlicht werden, haben Gesetzeskraft. Darüber hinaus sind die Sozialversicherungsträger hinsichtlich der entschiedenen verfassungsrechtlichen Fragen auch für die Zukunft an die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG gebunden.
Die Bindungswirkung der übrigen Gerichtsentscheidungen erstreckt sich nur auf die am Verfahren Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger (§ 141 Abs. 1 SGG). Das schließt jedoch nicht aus, dass eine Aufsichtsbehörde höchstrichterliche Entscheidungen zum Anlass von Maßnahmen mit dem Ziel einer einheitlichen Verfahrensweise der ihrer Aufsicht unterstellten Versicherungsträger nimmt. Schon aus Gründen der Rechtssicherheit und der Prozessökonomie sollten die Versicherungsträger gerichtliche Entscheidungen, wenn sie durch sie auch nicht unmittelbar gebunden werden, nicht unberücksichtigt lassen.