Rz. 8
Nach § 210 Abs. 1 Nr. 2 können sich Versicherte ihre bisher gezahlten Rentenversicherungsbeiträge auf Antrag auch erstatten lassen, wenn sie ihre Regelaltersgrenze bereits erreicht und die allgemeine Wartezeit nicht erfüllt haben. Der Erstattungsanspruch des in § 210 Abs. 1 Nr. 2 genannten Personenkreises ist damit zu begründen, dass wegen nicht erfüllter allgemeiner Wartezeit i. d. R. keine Leistungsansprüche aus der gesetzlichen Rentenversicherung bestehen. Abweichend von § 210 Abs. 1 Nr. 1 ist für einen Anspruch auf Beitragserstattung nach § 210 Abs. 1 Nr. 2 nicht relevant, ob im Zeitpunkt der Antragstellung noch Versicherungspflicht (§§ 1 bis 4, 229, 229a) oder die Berechtigung zur freiwilligen Versicherung (§§ 7, 232) besteht.
Die Regelaltersgrenze wurde durch das RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz v. 20.4.2007 (BGBl. I S. 554) von 65 Jahren auf 67 Jahre angehoben (§ 35 Satz 2). Aus Vertrauensschutzgründen sieht § 235 Abs. 2 eine stufenweise Anhebung der Regelaltersgrenze für vor dem 1.1.1964 geborene Versicherte vor. Dies hat zur Folge, dass die in § 35 Satz 2 genannte Regelaltersgrenze von 67 Jahren nur für Versicherte gilt, die nach dem 31.12.1963 geboren sind (Umkehrschluss aus § 235 Abs. 1 Satz 1 1. HS). Für vor dem 1.1.1964 geborene Versicherte ergibt sich die jeweilige Regelaltersgrenze in Abhängigkeit vom Geburtsjahrgang eines Versicherten aus § 235 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 (vgl. Komm. zu §§ 35, 235 Abs. 2); danach beträgt die Regelaltersgrenze z. B. für Versicherte, die im Jahre 1959 geboren sind, 66 Jahre und 2 Monate.
Rz. 9
Die allgemeine Wartezeit umfasst 5 Jahre (§ 50 Abs. 1 Satz 1); das sind gemäß § 122 Abs. 2 Satz 1 60 Kalendermonate. Auf die allgemeine Wartezeit sind gemäß § 51 Abs. 1 und 4 Kalendermonate mit Beitragszeiten (echte und fiktive Pflichtbeitragszeiten sowie Zeiten mit freiwillige Beiträgen i. S. v. §§ 55 Abs. 1, 56 Abs. 1, 247 bis 249 Abs. 1, 249a) und Ersatzzeiten (§ 250 Abs. 1 Nr. 1 bis 6) anzurechnen. Dabei zählen Kalendermonate, die nur teilweise mit Beitrags- oder Ersatzzeiten belegt sind, als volle Monate (§ 122 Abs. 1).
Darüber hinaus sind auf die allgemeine Wartezeit auch Monate anzurechnen, die sich ergeben, wenn
- nach der Scheidung oder Aufhebung einer Ehe oder Lebenspartnerschaft insgesamt zugunsten eines Versicherten ein Versorgungsausgleich durch Übertragung oder Begründung von dynamischen Rentenanwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung durchgeführt worden ist (§ 52 Abs. 1),
- sich nach Durchführung eines Rentensplittings unter Ehegatten oder Lebenspartnern für den Versicherten insgesamt ein Splittingzuwachs i. S. v. § 120a Abs. 8 ergeben hat (§ 52 Abs. 1a),
- nach dem 31.3.1999 eine geringfügig entlohnte versicherungsfreie oder von der Versicherungspflicht befreite Beschäftigung i. S. v. § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV ausgeübt worden ist, für die sich gemäß §§ 76b, 264b Zuschläge an Entgeltpunkten ergeben (§§ 52 Abs. 2, 244a).
Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung hat bei Prüfung der allgemeinen Wartezeit darüber hinaus eine Zusammenrechnung von deutschen Versicherungszeiten mit Versicherungszeiten, die in anderen Mitgliedstaaten der EU, des EWR oder der Schweiz zurückgelegt worden sind, zu erfolgen (BSG, Urteil v. 26.2.2020, B 5 R 21/18 R). Bei Berücksichtigung des jeweils maßgebenden zwischen- und überstaatlichen Rechts gilt dies auch für Versicherungszeiten, die im Königreich Großbritannien und Nordirland nach dem 31.12.2020 zurückgelegt worden sind.
Rz. 10
Gemäß § 50 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 gilt die allgemeine Wartezeit als erfüllt (Wartezeitfiktion), wenn ein Versicherter bis zum Kalendermonat des Erreichens seiner Regelaltersgrenze eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (§§ 43 Abs. 1, 2 und 6, 45 Abs. 1 und 2, 240 Abs. 1, 302a, 302b) oder eine Erziehungsrente (§§ 47, 243a) bezogen hatte.
Rz. 11
Im Wege der Auslegung sind darüber hinaus die für Erwerbsminderungsrenten und Renten wegen Todes geltenden Vorschriften zur vorzeitigen Wartezeiterfüllung (§§ 53 Abs. 1 und 2, 245 Abs. 2 und 3) auch nach Erreichen der Regelaltersgrenze anzuwenden. Dies hat zur Folge, dass eine Regelaltersrente (§§ 35, 235) bei Nichterfüllung der allgemeinen Wartezeit selbst dann zu bewilligen ist, wenn die Voraussetzungen für eine vorzeitige Wartezeiterfüllung (§§ 53 Abs. 1 und 2, 245 Abs. 2 und 3) erst nach Erreichen der Regelaltersgrenze eingetreten sind und gemäß §§ 43 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, 45 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1, 47 Abs. 1 Satz 1, 240 Abs. 1 Satz 1 nur deshalb kein Anspruch auf Erwerbsminderungsrente oder Erziehungsrente besteht.
Rz. 12
Für Versicherte, denen eine Beitragserstattung nach § 210 Abs. 1 Nr. 2 bindend bewilligt worden ist, besteht gemäß § 5 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Rentenversicherung, die sich auf jede Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit bezieht; die Berechtigung zur freiwilligen Versicherung gemäß § 7 Abs. 1 wird dadurch allerdings nicht eingeschränkt.