Rz. 12
Lehrlinge oder sonst zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigte waren seit dem Inkrafttreten der Vereinfachungsverordnung v. 17.3.1945 am 1.6.1945 grundsätzlich rentenversicherungspflichtig. Bis zum 30.6.1965 (vor dem Inkrafttreten des 1. Rentenversicherungs-ÄndG v. 9.6.1965) wurden jedoch gleichwohl nicht für alle Lehrlinge Beiträge eingezogen, weil die Rechtslage z. B. für Lehrlinge in staatlich anerkannten Lehrwerkstätten von Erziehungsheimen, für Vor- und Nachpraktikanten, für Behinderte in Heimen etc. nicht eindeutig war. Durch § 247 Abs. 2a, der mit dem Rü-ErgG eingeführt wurde und gemäß Art. 18 Abs. 4 Rü-ErgG rückwirkend zum 1.1.1992 in Kraft getreten ist, sollen die im Versicherungsleben durch Ausbildungszeiten entstandenen Lücken, die bisher nicht als rentenrechtliche Zeiten berücksichtigt werden konnten oder nur im Wege der erweiterten Rechtsauslegung als beitragsfreie Zeiten i. S. v. § 252 Abs. 1 Nr. 3 anerkannt worden sind, durch die Anerkennung von fiktiven Beitragszeiten gemäß § 55 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 247 Abs. 2a geschlossen werden (vgl. hierzu auch BSG, Urteil v. 3.12.1992 – 13 RJ 73/91).
Abweichend von der bisherigen Rechtsauffassung der Rentenversicherungsträger werden aufgrund ständiger Rechtsprechung des BSG von Abs. 2a nicht nur Lehrlinge oder sonst zu ihrer Berufsausbildung beschäftigte Personen erfasst, für die wegen der unklaren Rechtslage keine Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt worden sind (BSG, Urteile v. 8.2.1996, 13 RJ 45/94, und v. 27.2.1997, 4 RA 125/95). Nach Auffassung des BSG ist in Abs. 2a vielmehr eine großzügigere Regelung getroffen worden, um die in Zeiten uneinheitlicher Rechtsanwendung und ungeklärter Versicherungspflicht verschiedenster Berufsausbildungsverhältnisse entstandenen Beitragslücken aller betroffenen Versicherten ohne Rücksicht auf die Gründe ihres jeweiligen Zustandekommens zu schließen. Das in der Gesetzesbegründung enthaltene sozialpolitische Bestreben, nur Sachverhalte zu regeln, in denen wegen der unklaren Rechtslage keine Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung von den Krankenkassen eingezogen worden sind, hat in der Formulierung der Vorschrift keinen Niederschlag gefunden. Eine Gesetzesänderung zur Konkretisierung der ursprünglichen Regelungsabsicht ist im Übrigen nicht vorgesehen, so dass die Rentenversicherungsträger auch in Zukunft die großzügigere Auslegung der Vorschrift durch die Rechtsprechung des BSG zu beachten haben. Voraussetzung für die Anwendung des Abs. 2a bleibt jedoch weiterhin, dass während der Berufsausbildung grundsätzlich Versicherungspflicht bestanden haben muss, d. h., es darf kein Tatbestand vorgelegen haben, der eine Versicherungsfreiheit der Berufsausbildung begründete. Dies war z. B. bei Beamten auf Widerruf der Fall. Auch für eine Ehegattenbeschäftigung scheidet die Anerkennung von fiktiven Pflichtbeitragszeiten nach der vorgenannten Vorschrift aus, weil für diesen Personenkreis nach dem bis zum 31.12.1966 geltenden Recht ebenfalls Versicherungsfreiheit kraft Gesetzes bestanden hatte.
Die Vorschrift des Abs. 2a findet somit insbesondere Anwendung für
- Lehrzeiten in der Landwirtschaft, soweit keine familienhafte Mithilfe vorgelegen hat,
- Meistersöhne und Landwirtschaftslehrlinge, die als Hoferben vorgesehen waren,
- Postulanten und Novizen ab 1.3.1957 (Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung bestand für diesen Personenkreis nach den damaligen Rechtsvorschriften erst ab 1.3.1957; für Zeiten vor dem 1.3.1957 kommt ggf. die Berücksichtigung einer Anrechnungszeit gemäß § 252 Abs. 1 Nr. 3 in Betracht),
- Lehrlinge in staatlich anerkannten Lehrwerkstätten von Erziehungsheimen,
- Behinderte in Heimen,
- Vor- und Nachpraktikanten.
Lehrlinge oder sonst zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigte unterlagen seit dem 1.2.1947 im Beitrittsgebiet der Versicherungspflicht. Fiktive Pflichtbeitragszeiten gemäß Abs. 2a sind somit in der Zeit vom 1.2.1947 bis zum 30.6.1965 auch für Zeiten der beruflichen Ausbildung in der ehemaligen DDR anzuerkennen, wenn Beiträge tatsächlich nicht gezahlt wurden (s. auch AGFAVR 1/98, TOP 9). Auch insoweit hat sich die bisherige Rechtsauffassung der Rentenversicherungsträger geändert.
Eine Lehrzeit oder eine sonstige Berufsausbildung i. S. d. Abs. 2a ist durch geeignete Unterlagen (z. B. Lehrvertrag, Gesellenbrief, Lehranzeige, Eintragung über die Ableistung einer Elternlehre in den Akten der zuständigen Schule) nachzuweisen. Eine Glaubhaftmachung durch eidesstattliche Versicherung in Form einer Zeugenerklärung oder in eigener Sache ist nach dem Wortlaut der Vorschrift nicht zulässig (s. hierzu auch § 23 Abs. 1 und 2 SGB X).