2.2.1 Leistungsminderung unter 3 Stunden
Rz. 13
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2). Bei einem derart hochgradig eingeschränkten Leistungsvermögen soll der Versicherte Anspruch auf die volle Rente als volle Lohnersatzleistung haben, indem der Rentenartfaktor 1,0 in Ansatz gebracht wird (§ 67 Nr. 2 und 3).
Rz. 14
Durch die vom Gesetzgeber eingeführte Zeitgrenze von 3 Stunden wird Nahtlosigkeit zwischen der gesetzlichen Rentenversicherung und der Arbeitslosenversicherung hergestellt. Nach § 138 Abs. 5 Nr. 1 SGB III sind nämlich nur die Arbeitslosen arbeitsfähig und stehen damit den Vermittlungsbemühungen der Arbeitsagentur zur Verfügung, die in der Lage sind, mindestens 15 Stunden wöchentlich zu arbeiten. Bezogen auf einen täglichen Arbeitseinsatz im Rahmen einer 5-Tage-Woche setzt dies täglich ein 3-stündiges Leistungsvermögen voraus. Wer hierüber nicht mehr verfügt und demnach keine Leistungen der Arbeitslosenversicherung beanspruchen kann, soll Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung haben. Insoweit trägt der Rentenversicherungsträger auch das volle Risiko der Vermittelbarkeit eines entsprechenden Arbeitsplatzes, weil entsprechende stundenweise Tätigkeiten nach Tarifverträgen im Regelfall nicht angeboten werden. Einen unmittelbaren Bezug zum Arbeitsleben entfaltet die 3-Stunden-Grenze allerdings nicht.
2.2.2 Arbeitsmarktrente
Rz. 15
Der Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung ist nicht nur auf die Fälle beschränkt, in denen das krankheitsbedingt geminderte Restleistungsvermögen auf einen täglichen Arbeitseinsatz von unter 3 Stunden reduziert ist. Voll erwerbsgemindert ist über den Wortlaut des Gesetzes hinaus auch der Versicherte, der noch 3, aber keine 6 Stunden täglich mehr erwerbstätig sein kann (und der damit nach dem Wortlaut des § 43 Abs. 1 Satz 2 nur teilweise erwerbsgemindert ist), wenn er einen seinem Restleistungsvermögen entsprechenden (Teilzeit-)Arbeitsplatz nicht innehat und damit arbeitslos ist (Arbeitsmarktrente; vgl. hierzu auch Rz. 2). Obwohl der Gesetzgeber mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit auch das Ziel verfolgte, zukünftig das Risiko der Vermittlung eines Arbeitsplatzes eindeutig(er) der Arbeitslosenversicherung und das der krankheitsbedingten Erwerbsminderung klarer der gesetzlichen Rentenversicherung zuzuordnen, behält auch § 43 die von der Rechtsprechung des BSG zum (früheren) Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit entwickelte sog. konkrete Betrachtungsweise bei (BSG Urteil vom 19.10.2011, B 13 R 78/09 R). Diese Rechtsprechung war und ist weiterhin von der Grundvorstellung des BSG getragen, dass der deutsche Arbeitsmarkt im Wesentlichen durch Vollzeitarbeitsplätze geprägt sei und Teilzeitarbeitsplätze nur in geringer Zahl vorhanden seien. Demnach sei bei einem vollschichtig leistungsfähigen Versicherten vom Grundsatz her davon auszugehen, dass er – trotz gesundheitlicher Beeinträchtigungen – noch eine reale Chance der Vermittelbarkeit eines leidensgerechten Arbeitsplatzes besitze, auch wenn er arbeitslos sei. Diese Rechtsprechung ist nunmehr – bezogen auf die Zeitgrenze von 6 Stunden – in § 43 Abs. 3 verankert, wonach ein 6-stündiges Leistungsvermögen vom Grundsatz her den Tatbestand der Erwerbsminderung ausschließt (vgl. hierzu Rz. 17 ff.). Bei arbeitslosen Versicherten, die jedoch unter vollschichtig leistungsfähig seien (bei arbeitslosen Teilzeitkräften), müsse – so die Rechtsprechung des BSG zur Erwerbsunfähigkeit nach der bis zum 31.12.2000 geltenden Gesetzeslage – jedoch im Hinblick auf die geringe Zahl von Teilzeitarbeitsplätzen im Einzelfall konkret geprüft werden, ob der Versicherte einen seinem Restleistungsvermögen entsprechenden Teilzeitarbeitsplatz innehabe oder ihm ein solcher vermittelt werden könne. War dies nicht der Fall, so war von einer Verschlossenheit des Arbeitsmarkts und der Begründetheit des Anspruchs auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auszugehen. Diese Rechtsprechung findet nunmehr auf die Versicherten Anwendung, die nur noch 3- bis unter 6-stündig täglich leistungsfähig sind und über einen entsprechenden Arbeitsplatz nicht verfügen, auch wenn gleichzeitig mit dem zum 1.1.2001 in Kraft getretenen § 43 das Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverhältnisse in Kraft trat (BGBl. 2000 S. 1966) und sich dessen ausdrückliches Ziel, die Zahl der Teilzeit-Beschäftigungsverhältnisse zu erhöhen, auf dem Arbeitsmarkt zwischenzeitlich niedergeschlagen haben dürfte (BSG, SozR 4-2600 § 43 Nr. 5 Rz. 18; BSG, Beschlüsse v. 10.7.2002, B 13 RJ 101/02 B, und v. 27.2.2003, B 13 RJ 215/02 B; vgl. insbesondere BSG, Urteil v. 19.10.2011, B 13 R 78/09 R, Urteil v. 9.5.2012, B 5 R 68/11, und Urteil v. 11.12.2019, B 13 R 7/18 R). Maßgeblich ist für den Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung nach § 43, ob der jeweilige Versicherte mit seinem ind...