Rz. 37
Abs. 5 führt den sog. Zugangsfaktor als zentralen Grundsatz der Rentenberechnung ein. Dabei beschreibt Abs. 5 nur Funktion und Sinn und Zweck des Zugangsfaktors, erst in Abs. 6 wird dann beschrieben, wie der Zugangsfaktor Eingang in die Berechnung des Monatsbeitrags nimmt. Korrespondierende Vorschrift zu Abs. 5 ist § 77.
Abs. 5 beschreibt den Sinn des Zugangsfaktors; mit dem Zugangsfaktor werden Vorteile und Nachteile einer unterschiedlichen Rentenbezugsdauer vermieden; Vor- und Nachteile einer unterschiedlichen Rentenbezugsdauer sind zu vermeiden. Es ist also typisierend auszuschließen, dass bei gleicher Vorleistung Rechtsfrüchte mit unterschiedlich hohem Geldwert nur wegen einer unterschiedlichen Laufdauer der Renten gezogen werden (BSG, Urteil v. 29.1.2004, B 4 RA 29/03 R, Rz. 57). Der Vorteil einer früheren Inanspruchnahme der Rente liegt (statistisch gesehen) darin, dass die Rentensumme desto höher ist, je länger die Rentenlaufzeit insgesamt ist. Ein früherer Renteneintritt bedeutet somit zwangsläufig eine finanzielle Mehrbelastung der Versichertengemeinschaft, die durch einen abgesenkten Zugangsfaktor – für die erwerbsgeminderten Versicherten gemildert durch die Verlängerung der Zurechnungszeit – begrenzt werden soll (vgl. zum Zweck des Rentenabschlagsprinzips stellv. auch BSG, Beschluss v. 26.6.2008, B 13 R 9/08 S, Rz. 21). Damit ordnet der Abs. 5 dem Grundsatz nach das Rentenabschlags- und das Rentenzuschlagsprinzip an.
Rz. 38
Mit der Einführung des abgesenkten Zugangsfaktors auch bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, die vor Vollendung des 63. Lebensjahres in Anspruch genommen werden, wurde der Begriff der "Vorzeitigkeit" in § 63 Abs. 5 durch das RRErwerbG gestrichen. In Bezug auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit kann insoweit nicht von einer vorzeitigen, sondern allenfalls von einer früheren oder späteren Inanspruchnahme gesprochen werden; für Renten wegen Todes ist der Begriff der Vorzeitigkeit vollends unpassend. Dessen war sich der Gesetzgeber auch bewusst, wie sich aus dem Wortlaut des § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2a ergibt, der allein von "vorzeitiger" Inanspruchnahme spricht. Es war daher konsequent, in der Generalnorm eine Bezugnahme auf die "vorzeitige Inanspruchnahme" ersatzlos zu streichen und das Zu- und Abschlagsprinzip allgemeiner zu formulieren (vgl. auch: BSG, Urteile v. 14.8.2008, B 5 R 98/07 R, Rz. 17, sowie B 5 R 140/07 R, Rz. 16, und B 5 R 88/07 R, Rz. 15).
2.5.1 Rentenabschlagsprinzip
Rz. 39
Über den Zugangsfaktor werden die Vorteile einer längeren Bezugsdauer aufgrund vorzeitiger Inanspruchnahme einer möglichen Rente durch das Rentenabschlagsprinzip umgesetzt. Versicherte können ihre Altersrente vorzeitig, d. h. vor der höheren Altersgrenze in Anspruch nehmen, müssen jedoch entsprechende Abschläge i. S. d. § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 lit. a in Kauf nehmen; für jeden Kalendermonat um 0,003 niedriger als 1,0.
Rz. 40
Die Absenkung des Zugangsfaktors stellt sich als verfassungsgemäßer Eingriff in die durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Rentenanwartschaften dar (BSG, Beschluss v. 26.6.2008, B 13 R 9/08 S, Rz. 20). Die Vermeidung finanzieller Mehrbelastung der Versichertengemeinschaft durch eine längere Bezugsdauer ist ein legitimer Grund für einen Eingriff in bestehende Rentenanwartschaften. Die Absenkung des Zugangsfaktors ist auch ein geeignetes und erforderliches Mittel, die Funktions- und Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung im Interesse aller zu erhalten, zu verbessern und den veränderten wirtschaftlichen Bedingungen anzupassen (BSG, Beschluss v. 26.6.2008, B 13 R 9/08 S, Rz. 22; vgl. insoweit auch vorgehend die Anfrage des 5a. Senats des BSG im Beschluss v. 29.1.2008, B 5a/5 R 32/07 R; so auch BSG, Beschluss v. 26.6.2008, B 13 R 11/08 S, Rz. 22, auf die Anfrage des 5a. Senats des BSG im Beschluss v. 29.1.2008, B 5a R 88/07 R). Es stellt letztlich eine sachlich ungerechtfertigte Begünstigung der vorzeitigen Altersrentner i. S. d. Art. 3 Abs. 1 GG dar, wenn sie bei gleicher Vorleistung uneingeschränkt für längere Zeiten Früchte zögen (BSG, Urteil v. 9.4.2002, B 4 RA 58/01 R, Rz. 52).
Rz. 41
Der Zugangsfaktor mindert sich nach § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 in gleichem Maße auch für Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (§ 43) und bei Erziehungsrenten (§ 47) und auch nach 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 lit. b für Hinterbliebenenrenten (§§ 46 ff.).
Rz. 42
Für eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (§ 43) oder eine Erziehungsrente (§ 47) ist dabei nach § 77 Abs. 2 Satz 2 für die Bestimmung des Zugangsfaktors die Vollendung des 62. Lebensjahres maßgebend. Diese Regelung stellt eine Begrenzung des Abschlags dar. Die Regelung des § 77 Abs. 2 Satz 2 ist als Berechnungsregel zur Umsetzung der allgemeinen Grundsätze zur Rentenhöhe i. S. d. § 63 Abs. 5 i. V. m. § 64 Nr. 1 zu verstehen. Im Ergebnis ist der Zugangsfaktor bei Inanspruchnahme von Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 62. Lebensjahres maximal um den Abschlag 0,108 zu mindern und somit auf mindestens 0,8...