2.1 Handlungsfähigkeit
Rz. 3
Handlungsfähigkeit im Verwaltungsverfahren ist die Fähigkeit, rechtlich bedeutsame Handlungen selbst, d. h. ohne Prozessbevollmächtigten, vornehmen zu können oder durch einen selbst bestellten Vertreter vornehmen zu lassen oder auch Erklärungen entgegenzunehmen. Dabei bedeutet "Vornahme" sowohl die Abgabe als auch die Entgegennahme verwaltungsverfahrensrechtlicher Erklärungen. Sie entspricht der Geschäftsfähigkeit im bürgerlichen Recht (vgl. § 104 BGB) und der Prozessfähigkeit im gerichtlichen Verfahren (vgl. § 51 ZPO) und ist stets von Amts wegen in jeder Lage des Verwaltungsverfahrens von der Behörde zu prüfen. Ist die Handlungsfähigkeit streitig, so ist sie bis zur endgültigen Klärung zu unterstellen (vgl. BSG, Urteil v. 28.5.1957, 3 RJ 98/54, BSGE 5 S. 176). Über die Handlungsfähigkeit kann die Behörde durch feststellenden Verwaltungsakt entscheiden. Handlungsunfähige dürfen weder Verfahrenshandlungen vornehmen, noch darf der Sozialleistungsträger gegen einen Handlungsunfähigen ein Verwaltungsverfahren durchführen bzw. einen Verwaltungsakt erlassen, es sei denn, der gesetzliche Vertreter wird für ihn tätig. Ein Mangel der Handlungsfähigkeit kann durch deren nachträglichen Eintritt und die rügelose Fortsetzung des Verfahrens bzw. durch Genehmigung des gesetzlichen Vertreters geheilt werden. Ob eine natürliche Person handlungsfähig ist, richtet sich ausschließlich nach den Voraussetzungen des § 11. Wenn einem Beteiligten Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) zugebilligt wird, darf daraus nicht ohne Weiteres auf Handlungsunfähigkeit i. S. d. § 11 geschlossen werden.
Rz. 4
Abs. 1 gibt insofern zu Missverständnissen Anlass, als die in den Nr. 3 und 4 genannten juristischen Personen, Vereinigungen und Behörden im Verwaltungsverfahren ebenso wenig handlungsfähig sind, wie sie im Verwaltungsprozess prozessfähig und im bürgerlichen Rechtsverkehr geschäftsfähig sind. Tatsächlich regeln die Nr. 3 und 4 nicht die Handlungsfähigkeit, sondern die Vertretung. Ausschlaggebend dafür, wer handlungsfähig ist, sind allein die Nr. 1 und 2.
2.2 Handlungsfähige Rechtssubjekte
Rz. 5
Handlungsfähig sind:
- Natürliche Personen gemäß Abs. 1 Nr. 1, mithin volljährige (Vollendung des 18. Lebensjahres – § 2 BGB) bzw. durch das Vormundschaftsgericht für voll geschäftsfähig erklärte Personen. Nicht geschäftsfähig und damit nicht handlungsfähig sind Geschäftsunfähige, § 104 BGB (Kinder bis 7 Jahre, § 104 Nr. 1 BGB sowie derjenige, der sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach ein vorübergehender ist, § 104 Nr. 2 BGB). Für einen Handlungsunfähigen handelt sein gesetzlicher Vertreter, was sich nach materiellem Recht bestimmt.
- Natürliche Personen, unter den in Abs. 1 Nr. 2 genannten Voraussetzungen. Insoweit stellt das Gesetz sowohl auf die bürgerlich-rechtliche – partielle – Geschäftsfähigkeit wie auch auf eine solche nach öffentlichem Recht ab. Seit 1.1.1992 gibt es die Geschäftsunfähigkeit wegen Entmündigung gemäß § 104 Nr. 3 BGB nicht mehr. An ihre Stelle ist die Anordnung eines Betreuungsverhältnisses getreten.
Zu den beschränkt Handlungsfähigen gehören Minderjährige, die das 7., aber noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet haben (§ 106 BGB). Diese können nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts (Alt. 1), z. B. §§ 107, 108, 110,112,113 BGB, als geschäftsfähig oder durch Vorschriften des öffentlichen Rechts (Alt. 2) als handlungsfähig anerkannt sein.
Zu beachten ist hier insbesondere § 36 Abs. 1 SGB I. Sinn dieser Vorschrift, die Handlungsfähigkeit verleiht, ist es, dass Minderjährige vielfach mit dem vollendeten 15. Lebensjahr in das Berufsleben eintreten und die damit zusammenhängenden sozialrechtlichen Pflichten zu erfüllen haben. Danach können Minderjährige über 15 Jahre Anträge auf Sozialleistungen stellen und verfolgen sowie Sozialleistungen entgegennehmen. Für diesen Personenkreis besteht für das alle Sozialleistungsbereiche betreffende Verwaltungsverfahren keine Beschränkung der Handlungsfähigkeit. Allerdings kann diese partielle Handlungsfähigkeit vom gesetzlichen Vertreter durch schriftliche Erklärung gegenüber dem Leistungsträger eingeschränkt werden, § 36 Abs. 2 Satz 1 SGB I.
Für die minderjährigen nicht handlungsfähigen Kinder handeln im Verwaltungsverfahren grundsätzlich die Eltern (§ 1629 Abs. 1 Satz 1 BGB) bzw. der sorgeberechtigte Elternteil (§ 1629 Abs. 1 Satz 3 BGB). Auch die Anhörung nach § 24 hat gegenüber dem gesetzlichen Vertreter zu erfolgen, wobei die Anhörung eines Elternteils ausreichend ist. Entsprechendes gilt für die Bekanntgabe von Verwaltungsakten (BSG, Urteil v. 7.7.2011, B 14 AS 153/10 R, BSGE 108 S. 289 = SozR 4-4200 § 38 Nr. 2).
Rz. 6
Juristische Personen und Vereinigungen sind selbst nicht handlungsfähig, sondern handeln durch ihre gesetzlichen Vertreter oder durch besonders Beauftragte (Abs. 1 Nr. 3). Wer gesetzlicher Vertreter einer juristischen Person ist, ergibt sich aus dem materiellen Recht (z. B. BGB, §§ 35 ff. SGB I...