Rz. 8
Abs. 1 enthält eine Legaldefinition der Rechtswidrigkeit (Fehlerhaftigkeit) eines VA, wonach sie sich aus einer fehlerhaften Rechtsanwendung oder aus einem zu Unrecht angenommenen Sachverhalt ergeben kann, wobei zwischen Sachverhalt und Rechtsanwendung Wechselbeziehungen bestehen. Zwischen unrichtiger Rechtsanwendung und/oder unrichtigem zugrunde gelegtem Sachverhalt und dem fehlerhaften VA muss ein Kausalzusammenhang ("soweit dadurch") bestehen. Weitere Voraussetzungen enthält § 44 Abs. 1 insoweit nicht, so dass ein zwischenzeitlich in der Rechtsprechung verfolgter Ansatz einer mehrstufigen Prüfung in Anlehnung an die gerichtlichen Wiederaufnahmeverfahren (§§ 578 f. ZPO) oder an § 51 VwVfG in den letzten Jahren zu Recht eher zurückhaltend diskutiert wird (im vorgenannten Sinne aber LSG Schleswig-Holstein, Urteil v. 12.7.2007, L 2 VS 55/06 unter Berufung auf BSG, Urteil v. 3.2.1988, 9/9a RV 18/86 = BSGE 63 S. 33; BSG, Urteil v. 3.4.2001, B 4 RA 22/00 R = BSGE 88 S. 75 m. w. N.; in jüngerer Zeit auch: SG Dortmund, Urteil v. 7.5.2010, S 51 VG 1/10; zur Ablehnung eines Antrages nach § 109 SGG im gerichtlichen Verfahren wegen eines Anspruchs nach § 44 unter Hinweis auf das Erfordernis einer mehrstufigen Prüfung: LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 2.12.2009, L 17 U 256/08). Die Befürworter dieser mehrstufigen Prüfung fordern vom Anspruchsteller i. d. R. die Benennung neuer Tatsachen und Beweismittel, bevor in eine inhaltliche Prüfung nach § 44 Abs. 1 einzutreten ist. Dieser Auffassung kann jedoch nicht gefolgt werden.
Verwaltung und Gerichte haben vielmehr auch ohne neues Vorbringen des Antragstellers zu prüfen, ob bei Erlass des bindend gewordenen VA das Recht unrichtig angewandt wurde (BSG, Urteil v. 5.9.2006, B 2 U 24/05 R; so auch LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 18.1.2010, L 1 U 2697/09). Bei der ersten Alternative des § 44 Abs. 1 "unrichtige Rechtsanwendung" handelt es sich um eine rein juristische Überprüfung der Entscheidung, zu der von Seiten des Anspruchstellers zwar Gesichtspunkte beigesteuert werden können, die aber umfassend von Amts wegen erfolgen muss (BSG, a. a. O., a. A. wohl LSG Schleswig-Holstein, Urteil v. 12.7.2007, L 2 VS 55/06). Nur für die 2. Alternative "unrichtiger Sachverhalt" kann es auf die Benennung neuer Tatsachen und Beweismittel ankommen. Ergeben sich diese aber aus den Akten oder sonstigen für die Entscheider erreichbaren Erkenntnisquellen, so ist nicht einzusehen, warum eine Berücksichtigung unterbleiben soll, nur weil der Antragsteller sich hierauf nicht ausdrücklich berufen hat. Auch bietet der Wortlaut des § 44 Abs. 1 für eine mehrstufige Prüfung keine Anhaltspunkte. Dem nicht hinwegzudiskutierenden Problem querulatorischer Wiederholung von Anträgen nach § 44 wird mit sehr kurzen Ausführungen in den Bescheiden und bei Vorliegen entsprechender Anhaltspunkte auch mit dem Hinweis auf ein fehlendes Rechtsschutzbedürfnis begegnet werden können. Ergibt sich im Rahmen eines Antrages nach § 44 nichts, was für die Unrichtigkeit der zu überprüfenden Entscheidung sprechen könnte, kann sich die Behörde sehr knapp fassen, was im Ergebnis auch darauf hinauslaufen kann, sich kurz auf den bindend gewordenen Bescheid zu beziehen. Soweit das LSG Schleswig-Holstein die Auffassung vertritt, es entfalle in diesen Fällen die Notwendigkeit jeglicher Sachprüfung (Urteil v. 12.7.2007, L 2 VS 55/06), so kann hier nur zur Vorsicht geraten werden. Denn auch wenn der Betroffene wiederholt Überprüfungsanträge nach § 44 gestellt hat, darf die Verwaltung einen erneuten Antrag nicht ohne Rücksicht auf die wirkliche Sach- und Rechtslage zurückweisen, sondern muss entsprechend dem Vorbringen des Antragstellers in eine erneute Prüfung eintreten (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 18.2.2010, L 10 B 9/09 VG, vgl. auch die Komm. in Rz. 10). Jedenfalls im Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende soll es nach Auffassung des BSG aber erforderlich sein, konkret mitzuteilen, inwiefern der bestandskräftige VA unrichtig sein soll; sonst fehle es bereits an einem hinreichenden Antrag auf Überprüfung im Einzelfall und die Behörde könne eine inhaltliche Überprüfung nach § 44 ablehnen (BSG, Urteil v. 13.2.2014, B 4 AS 22/13 R, und Urteil v. 4.6.2014, B 14 AS 335/13 B). Es ist daher nicht ratsam, wenn der Antragsteller sich auf den Vortrag beschränkt, es sollten "alle Bescheide ab dem Zeitpunkt X auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüft werden". Auch das LSG Sachsen-Anhalt fordert in seinem Urteil v. 19.10.2016 (L 4 AS 22/15), dass der Antrag konkretisierbar sein muss, so dass entweder aus dem Antrag selbst – ggf. nach Auslegung – oder aus der Antwort des Antragstellers auf eine konkrete Nachfrage der Behörde der Umfang des Prüfauftrages für die Verwaltung bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens erkennbar sein müsse. Sei dies nicht der Fall, sei der Sozialleistungsträger berechtigt, von einer inhaltlichen Prüfung des Antrages abzusehen. Diese Begrenzung werde durch den Wortlaut, die Gesetzesbegründung, sowie den Sin...