2.1 Auskunftsberechtigte Stellen (Abs. 1 Satz 1)
Rz. 4
Abs. 1 lässt die Übermittlung bestimmter Sozialdaten an die Behörden für Verfassungsschutz, den Bundesnachrichtendienst, den Militärischen Abschirmdienst und das Bundeskriminalamt zu, soweit dies im Einzelfall zur rechtmäßigen Aufgabenerfüllung dieser Behörden erforderlich ist.
Durch die Worte "im Einzelfall" in Abs. 1 Satz 1 ist klargestellt, dass z. B. Rasterfahndungen, Online-Zugriffe auf Datenpools, Datenabgleiche unzulässig sind. Hierfür bietet unter bestimmten Voraussetzungen § 68 Abs. 3 seit dem 1.1.2002 eine gesetzliche Übermittlungsgrundlage.
Aus verwaltungstechnischen Gründen können Einzelfälle in einem Ersuchen gebündelt werden. Die Datenübermittlung muss jedoch für jede betroffene Person, die von dem Ersuchen erfasst wird, von erkenntnismäßigem Interesse sein.
Rz. 5
Die Aufzählung der Empfänger ist abschließend. So dürfen auf der Grundlage des § 72 keine Daten, z. B. an die Bundespolizei oder an andere Polizeibehörden oder an Landeskriminalämter, übermittelt werden. In diesen Fällen ist § 68 oder ggf. § 73 zu prüfen
Rz. 6
Behörden für Verfassungsschutz sind das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Landesämter für Verfassungsschutz. Deren Pflicht zur Zusammenarbeit und deren Aufgaben enthält das Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) v. 20.12.1990 (BGBl. I S. 2954).
Rz. 7
Der Bundesnachrichtendienst (BND) ist eine Bundesoberbehörde und gehört zum Geschäftsbereich des Chefs des Bundeskanzleramtes. Zuständigkeit und Aufgabenstellung sind im BND-Gesetz geregelt.
Rz. 8
Die Aufgaben des Militärische Abschirmdienst (MAD) regelt das MAD-Gesetz v. 20.12.1990.
Rz. 9
Aufgaben und Funktionen des Bundeskriminalamtes enthält das Gesetz über das Bundeskriminalamt und die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in kriminalpolizeilichen Angelegenheiten (BKAG) v. 1.6.2017 (BGBl. I S. 1354).
2.2 Übermittlungsumfang (Abs. 1 Satz 2)
Rz. 10
Die Übermittlung ist auf die in Abs. 1 Satz 2 genannten Daten beschränkt; dies sind "Angaben über Name und Vorname sowie früher geführte Namen, Geburtsdatum, Geburtsort, derzeitige und frühere Anschriften der betroffenen Person sowie Namen und Anschriften ihrer derzeitigen und früheren Arbeitgeber". Die Aufzählung ist abschließend.
Weitere Sozialdaten dürfen nicht übermittelt werden, z. B. Beschäftigungszeiträume.
2.3 Schutzwürdige Interessen
Rz. 11
Anders als in § 68 ist nicht zu beachten, ob schutzwürdige Interessen der betroffenen Person beeinträchtigt werden. Hier wird ein überwiegendes öffentliches Interesse unterstellt.
Das Erheben von Daten durch die Sicherheitsbehörden geschieht überwiegend im Geheimen und ohne Kenntnis der betroffenen Person. § 83 Abs. 5 trägt dem Rechnung, indem er Auskünfte an die betroffene Person über Empfänger von Daten insoweit nur mit Zustimmung der Sicherheitsbehörden zulässt (vergl. Komm. zu § 83).
2.4 Feststellung der Erforderlichkeit (Abs. 2 Satz 1)
Rz. 12
Wegen der Schutzwürdigkeit der Sozialdaten und der Besonderheiten der Erhebung (vgl. Rz. 12) hat die Erforderlichkeit des Übermittlungsersuchens – anders als im Rahmen des § 68 – ein vom Leiter oder der Leiterin der ersuchenden Stelle besonders bestimmte beauftragte Person festzustellen. Diese beauftragte Person soll die Befähigung zum Richteramt haben.
Zur Kennzeichnung, dass die Ersuchen nach § 72 bei der ersuchenden Stelle auf ihre Erforderlichkeit hin von einer dazu besonders bestimmten beauftragten Person geprüft wurden, müssen Auskunftsersuchen nach § 72 den Hinweis "Beauftragte Person gemäß § 72 Abs. 2 SGB X" enthalten.
2.5 Unterrichtung der Aufsichtsbehörde (Abs. 2 Satz 2)
Rz. 13
Die Sicherheitsbehörden haben ihre jeweils zuständige Aufsichtsbehörde über Auskunftsersuchen nach § 72 zu unterrichten, wenn es sich bei der Aufsichtsbehörde um eine oberste Bundes- oder Landesbehörde handelt. Diese Verpflichtung dient der politischen Kontrolle. Eine Mitteilung im Einzelfall ist damit nicht verbunden. Eine gesammelte Benachrichtigung in gewissen Zeitabständen erfüllt den Zweck ebenso.
Aufsichtsbehörden sind
- für das Bundesamt für Verfassungsschutz und das Bundeskriminalamt das Bundesministerium des Innern und für Heimat,
- für den Bundesnachrichtendienst das Bundeskanzleramt,
- für den MAD das Bundesministerium der Verteidigung und
- für die Verfassungsschutzbehörden der Länder die Landesinnenminister bzw. Senatoren des Innern.
2.6 Entscheidung beim Leistungsträger (Abs. 2 Satz 3)
Rz. 14
Die Entscheidung über ein Ersuchen obliegt bei der ersuchten Stelle ausschließlich dem Behördenleiter oder der Behördenleiterin oder dessen oder deren allgemeiner Stellvertreter oder allgemeine Stellvertreterin. Wer dies ist, richtet sich nach der Organisationsform des jeweiligen Sozialleistungsträgers. Bei den Stellen nach § 35 SGB I ist dies jeder Geschäftsführer oder jede Geschäftsführerin der Geschäftsführung (§ 36 SGB IV).
Rz. 15
Die Möglichkeit, wie in § 68 vorgesehen, eine besonders bevollmächtigte bedienstete Person mit der Entscheidung zu betrauen, lässt § 72 nicht zu. Das hindert jedoch nicht, dass die Vorbereitung der Entscheidung einem besonders vertrauenswürdigen Bediensteten – beispielsweise dem internen Datenschutzbeauftragten – übertragen werden kann.
Rz. 16
Zur Verdeutlichung, dass es sich um die Entscheidung durch den Behördenlei...