Rz. 3
Das Erfordernis von Auftragsgeschäften innerhalb der Sozialversicherungsträger erklärt sich aus der Gliederung des Systems der Sozialversicherung. So können anlässlich der Sozialleistungserbringung Schnittstellen zwischen den unterschiedlichen Trägern entstehen, die es erforderlich machen, Aufträge zu erteilen, da eine sinnvolle Fallbearbeitung im Rahmen einer bloßen Koordination der Arbeit der Sozialleistungsträger nicht gewährleistet werden kann. So dient beispielsweise die Auszahlung von Verletztengeld des Unfallversicherungsträgers im Rahmen der "Verwaltungsvereinbarung Generalauftrag Verletzengeld" durch die Krankenkasse der Versorgung der Versicherten mit den ihnen zustehenden Leistungen. Denn Krankenkassen haben regelmäßig vor Ort Geschäftsstellen, an die sich die Versicherten wenden können.
Rz. 4
Die §§ 88 bis 93 bilden die Rechtsgrundlage für die allgemeine Zulässigkeit der Bildung von öffentlich-rechtlichen Auftragsverhältnissen und regeln allgemeine Fragen. Diese Vorschriften sind aber nachrangig gegenüber speziellen Regelungen (vgl. § 37 Satz 1 SGB I), wie z. B. § 28h SGB IV, § 119 Abs. 1 Satz 1 SGB VI, § 101a Abs. 3 Nr. 1 und 2 SGB X. Die §§ 88 bis 93 werden ergänzt durch die allgemeinen Vorschriften über den öffentlich-rechtlichen Vertrag (§§ 53 bis 61), wie das Erfordernis der Schriftform und den Verweis auf die Regeln über den Datenschutz. Durch die Erteilung eines Auftrages werden aufgrund einverständlicher Regelungen, die von den Beteiligten vereinbart wurden, Aufgaben des Auftraggebers an den Auftragnehmer übertragen. Demgegenüber spricht man von Amtshilfe, wenn in einem Einzelfall ein Träger ersucht wird, ergänzende Hilfe zu leisten.
2.1 Grundtatbestand (Abs. 1)
Rz. 5
Auftrag i. S. d. § 88 ist die einvernehmliche Übertragung von Aufgaben des Auftraggebers an den Beauftragten aufgrund eines öffentlich-rechtlichen Vertrages. Zur Zulässigkeit des öffentlich-rechtlichen Vertrages vgl. §§ 53 ff.
2.1.1 Auftraggeber und Auftragnehmer
Rz. 6
Nur Leistungsträger (vgl. § 12 SGB I) können Aufträge erteilen. Verträge werden zwischen Leistungsträgern (§ 88 Abs. 1 Satz 1 1. Alt.) oder mit dem jeweiligen Verband des Leistungsträgers (§ 88 Abs. 1 Satz 1 2. Alt.) geschlossen. Sind Auftragsverhältnisse zwischen Leistungsträgern geschlossen worden, müssen diese nicht notwendig dem gleichen Verband angehören.
Rz. 7
Der Wortlaut des § 88 Abs. 1 Satz 1 ist insofern unklar, als nach dem Gesetzestext lediglich die Aufgabenwahrnehmung durch "seinen" Verband möglich ist. So fragt sich, ob tatsächlich nur Auftragsverträge mit Verbänden, in denen der Leistungsträger Mitglied ist, geschlossen werden dürfen. Aus der Tatsache, dass nicht die Verbandszugehörigkeit des Leistungsträgers, sondern der dem Auftrag zugrunde liegende öffentlich-rechtliche Vertrag die Rechtsgrundlage des Auftrages sein kann, lässt sich auf ein Formulierungsversehen des Gesetzgebers schließen. Die Gesetzesbegründung liefert mehrere Beispiele, in denen der auftraggebende Leistungsträger nicht Mitglied des beauftragten Verbandes ist (vgl. BT-Drs. 9/95 S. 18). Eine Weisungsgebundenheit des Leistungsträgers gegenüber dem Verband kann es grundsätzlich nicht geben. Von daher kann es für das Auftragsverhältnis auf die Verbandszugehörigkeit des Leistungsträgers nicht ankommen. Diese Auffassung wird auch dadurch gestützt, dass die Verbände nicht nur die Verwaltungsaufgaben der ihnen angehörigen Leistungsträger zu koordinieren haben, sondern auch die Zusammenarbeit ihrer Leistungsträger mit anderen Leistungsträgern vermitteln müssen (a. A. Dietmair, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, Stand: 13.12.2018, § 88 Rz. 19; SG Berlin v. 12.4.2018, S 56 KR 3964/15, anhängig beim BSG unter B 1 KR 16/18 R).
Rz. 8
Die Auftragsverhältnisse nach §§ 88 bis 92 unterscheiden sich von den in § 93 genannten Verhältnissen dahin gehend, dass der letztgenannten Vorschrift ein gesetzlich geregelter Auftrag bzw. ein gesetzliches Auftragsverhältnis zugrunde liegt.
2.1.2 Wahrnehmung von Aufgaben
Rz. 9
Aufträge können zur Wahrnehmung von Aufgaben erteilt werden. Insbesondere aus dem Gesetzeswortlaut, wonach der auftraggebende Leistungsträger Aufgaben wahrnehmen lassen kann, ist zu schließen, dass die rechtliche Verantwortlichkeit für die Aufgabenerledigung beim Auftraggeber verbleibt. Entsprechende Einflussmöglichkeiten des Auftraggebers sind in § 89 geregelt. Die volle Steuerungsmöglichkeit und die erforderliche Kontrolle sollen auf Seiten des Auftraggebers verbleiben. Der Auftrag kann in diesem Zusammenhang mit einer Bevollmächtigung verglichen werden.
2.1.3 Sachlicher Zusammenhang
Rz. 10
Das Erfordernis des sachlichen Zusammenhangs zwischen den Aufgaben von Auftraggeber und Beauftragten (§ 88 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1) ist weit zu fassen. Träger, Verbände oder Beauftragte, deren Aufgabenbereiche ohne jegliche Beziehung zueinander stehen, sollen hingegen keine Auftragsverhältnisse untereinander eingehen (BT-Drs. 9/95 S. 18). Selbstverständlich können aber Leistungsträger unterschiedlicher Sozialversicherungszweige Auftragsverhältnisse eingehen, wenn es Bereiche gibt, in denen sie vergleichbare Aufgaben ausüben, ...