Rz. 8
Abs. 2 betrifft Leistungen an Hinterbliebene und den Versicherten (Täter) selbst. Wird der Versicherte durch Strafurteil oder Strafbefehl wegen eines vorsätzlich begangenen Verbrechens oder Vergehens verurteilt, das in einem ursächlichen Zusammenhang mit dem Versicherungsfall steht, kann der Leistungsträger die Leistung entweder ganz verweigern, mindern oder entziehen. Er kann auch bestimmte Entschädigungen gewähren (z. B. Heilbehandlung) und andere verweigern (z. B. Verletztenrente). Die Anerkennung als Versicherungsfall und das Leistungsrecht bleiben bestehen. Jedoch gehen die Leistungsansprüche von dem Zeitpunkt an und für die Dauer der Entziehungsentscheidung unter (BSG, NZS 1995 S. 524).
Rz. 9
Die rechtskräftige Verurteilung durch Strafurteil oder Strafbefehl ist zwingende Voraussetzung. Ohne rechtskräftige Verurteilung kann die Vorschrift nicht angewendet werden. Insbesondere können die Sozialgerichte die Wertung einer Handlung als vorsätzliche Straftat nicht nachholen oder ersetzen. Fehlt es an einem Urteil, weil der Täter verstorben oder amnestiert worden ist oder weil die Straftat verjährt ist, findet die Vorschrift keine Anwendung (Lauterbach/Fröde, SGB VII, § 101 Rz. 16).
2.2.1 Vergehen oder Verbrechen
Rz. 10
Der Anwendungsbereich erstreckt sich nur auf die Verurteilung von vorsätzlich begangener Vergehen oder Verbrechen. Zum vorsätzlichen Handeln gilt dasselbe wie zu Abs. 1. Es gilt die in § 12 StGB normierte Definition. Demnach sind Verbrechen rechtswidrige Straftaten, die im Mindeststrafmaß mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind. Vergehen sind rechtswidrige Straftaten, die im Mindeststrafmaß mit einer geringeren Freiheitsstrafe oder mit Geldstrafe bedroht sind. Bergbehördliche Anordnungen stellen inhaltlich Unfallverhütungsvorschriften dar. Ein Verstoß hiergegen soll gemäß Abs. 2 Satz 2 nicht zum Leistungsausschluss führen.
2.2.2 Innerer Zusammenhang der Tat zum Versicherungsfall
Rz. 11
Zwischen der im Strafurteil festgestellten Handlung und dem Versicherungsfall muss ein innerer Zusammenhang bestehen (BSG, Urteil v. 18.03.2008, 2 U 1/07 R, BSGE 100 S. 124). Die Handlung muss eine rechtlich wesentliche Ursache für den Eintritt des Versicherungsfalls darstellen (BSGE 25 S. 161) und darf nicht nur angelegentlich der bestraften Handlung geschehen sein. Das BSG hat bei bestrafter Untreue mit darauffolgender tätlicher Auseinandersetzung den inneren Zusammenhang bejaht und § 101 angewendet (BSG, HV-Info 1985 S. 55). Rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr durch Alkoholfahrt (BSG, SozR 2200 § 548 Nr. 77) oder grob verkehrswidriges Fahren (BSG, HV-Info 1995 S. 843) kann zum Leistungsausschluss führen, weil wegen Fehlens des inneren Zusammenhangs schon kein Versicherungsfall vorliegt (BSG, HV-Info 1996 S. 2823). § 101 findet dann keine Anwendung. Eine vorsätzliche Straßenverkehrsgefährdung schließt aber nicht immer den ursächlichen Zusammenhang aus (BSG, SozR 3-2700 § 8 Nr. 10), so dass in solchen Fällen eine Leistungseinschränkung nach Abs. 2 in Betracht kommt.
2.2.3 Ermessen
Rz. 12
Die Leistungsminderung oder -versagung liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Versicherungsträgers. Das bezieht sich sowohl auf das "Ob" der Leistungsverweigerung als auch auf das "Wie". Die Vorschrift ist keine Strafnorm, sondern soll ggf. die Leistung aus Gründen der Billigkeit ausschließen oder mindern. Bei der Ermessensentscheidung sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen (BSG, Urteil v. 18.03.2008, 2 U 1/07 R, BSGE 100 S 124 = SGb 2009 S. 428):
Rz. 13
Eine Leistungsverweigerung gegenüber dem Täter (Versichertem) kommt eher in Betracht als eine solche gegenüber den Hinterbliebenen (Schmitt, SGB VII, § 101 Rz. 9).