2.1 Kinder - Originäre Anspruchsberechtigte (Abs. 1)
2.1.1 Halbwaisenrente und Vollwaisenrente
Rz. 9
Sowohl bei Halbwaisenrente als auch bei Vollwaisenrente ist Voraussetzung, dass der Tod eines Elternteils durch einen Versicherungsfall i. S. d. § 7 eingetreten ist. Dies wird im Gesetzeswortlaut durch die Wendung "Kinder von verstorbenen Versicherten" zum Ausdruck gebracht. Insoweit ist die gleiche Prüfung wie bei der Witwen-/Witwerrente durchzuführen (vgl. die Komm. zu § 63). Die Waisenrenten sind ebenso wie die Witwen- und Witwerrenten als selbständige Ansprüche ausgestaltet. Der Anspruchsausschluss nach § 65 Abs. 6 (Versorgungsehe) greift nicht bei den Waisenrenten.
2.1.1.1 Halbwaise (Nr. 1)
Rz. 10
Halbwaisenrente erhält das (nach den übrigen Voraussetzungen anspruchsberechtigte) Kind, wenn noch ein anderer Elternteil vorhanden ist. Anders als in § 48 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI (Parallelnorm in der gesetzlichen Rentenversicherung) wird die Unterhaltspflicht des noch lebenden Elternteils nicht als Voraussetzung genannt. Bei dem noch lebenden Vater eines nichtehelichen Kindes muss jedoch die Vaterschaft festgestellt sein (BSG, Urteil v. 23.7.1959, 3 RJ 224/58).
2.1.1.2 Vollwaise (Nr. 2)
Rz. 11
Vollwaisenrente erhält das auch ansonsten anspruchsberechtigte Kind dann, wenn beide Eltern verstorben sind. Nur ein Elternteil muss infolge eines Versicherungsfalls verstorben sein. Ist der zweite Elternteil ebenfalls infolge eines Versicherungsfalls verstorben, so kommt § 68 Abs. 3 zur Anwendung.
2.1.1.3 Kinder
Rz. 12
Kinder sind die von der bzw. dem Verstorbenen als Mutter bzw. als Vater abstammenden Kinder (vgl. §§ 1591 bis 1600e BGB) sowie die nach Maßgabe der §§ 1741 bis 1766 BGB adoptierten Kinder. Der verstorbenen Mutter bzw. dem verstorbenen Vater gegenüber muss also das Kindschaftsverhältnis bestehen. Durch das Gesetz zur Reform des Kindschaftsrechts v. 16.12.1997 (BGBl. I S. 2942) wurde zum 1.8.1998 der Unterschied zwischen ehelichen, für ehelich erklärten und nichtehelichen Kindern abgeschafft. Für die vor diesem Zeitpunkt geborenen Kinder gelten allerdings gemäß Art. 224 Abs. 1 und 2 EGBGB die früheren Vorschriften (§§ 1600a ff., 1723 bis 1740 BGB a. F.) weiter.
2.1.1.4 Pflegekinder - Vollwaise - Halbwaise
Rz. 13
Eine besonderes Problem stellt die Voll- bzw. Halbwaisenberechtigung von Pflegekindern dar.
Rz. 14
Stirbt ein Pflegeelternteil, löst dies einen Halbwaisenrentenanspruch des Pflegekindes aus (vgl. i.E. auch LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 14.6. 2022, L 14 R 693/20, Rz. 4, für die rentenrechtliche Parallelregelung in § 48 SGB VI).
Rz. 15
Der Tod des zweiten Pflegeelternteils hingegen löst nicht regelhaft den Anspruch auf Vollwaisenrente aus. Waisenrenten haben Unterhaltsersatzfunktion für den Entfall des Unterhaltsanspruchs gegen die zivilrechtlich dem Grunde nach verpflichteten Eltern. Infolge fehlender Unterhaltspflicht von Pflegeeltern stellt die Anspruchsberechtigung von Pflegekindern auf Waisenrente einen Systembruch im Recht der unterhaltsersetzenden Waisenrenten dar. Ein Pflegekind hat im Recht der Waisenrenten mehr als zwei Elternteile. Pflegekinder haben regelmäßig 4 Elternteile, und zwar die leiblichen Eltern und die Pflegeeltern. Ausgehend von der Funktion der Waisenrente als "Unterhaltsersatz" kann daher nach der ratio legis der anspruchsbegründenden Norm des § 67 Abs. 2 und dessen systematischer Stellung zum Abs. 1 ein Anspruch auf Vollwaisenrente bei Pflegekindern nur entstehen, wenn beide leiblichen Eltern verstorben sind (so zutreffend LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 14.6.2022, L 14 R 693/20, für die rentenrechtliche Parallelregelung in § 48 SGB VI).
Rz. 16
Dieses Ergebnis ist auf den unfallversicherungsrechtlichen Vollwaisenanspruch bei Pflegekindern übertragbar.
2.2 Weitere Anspruchsberechtigte (Abs. 2)
2.2.1 Stiefkinder und Pflegekinder (Nr. 1)
Rz. 17
Stiefkinder (Abs. 2 Nr. 1) stehen nur zu dem Ehegatten des verstorbenen Versicherten in einem Kindschaftsverhältnis als leibliche oder angenommene Kinder. Ebenso wie die Pflegekinder müssen auch die Stiefkinder in den Haushalt des bzw. der Versicherten aufgenommen sein. Der Begriff der Pflegekinder wird in § 56 Abs. 2 Nr. 2 SGB I gesetzlich definiert. Danach handelt es sich um Personen, die mit dem Berechtigten durch ein auf längere Dauer angelegtes Pflegeverhältnis mit häuslicher Gemeinschaft wie Kinder mit Eltern verbunden sind. Dies gilt auch hier. Es muss sich um ein familienähnliches Verhältnis handeln (BSG, Urteil v. 23.4.1992, 5 RJ 70/90; Urteil v. 28.11.1990, 5 RJ 64/89). Das familiäre Band zu den leiblichen Eltern muss dementsprechend gelöst sein. Dies ist etwa dann der Fall, wenn die leiblichen Eltern das Kind nur noch gelegentlich bei den Pflegeeltern besuchen. Unterhaltszahlungen der Eltern ändern dies nicht, auch dann nicht, wenn neben dem Barunterhalt Betreuungsunterhalt erbracht wird (BSG, Urteil v. 23.4.1992, a. a. O., unter Aufgabe der abweichenden früheren Auffassung).
Rz. 18
Der Begriff der Kostkinder ist daher mit Vorsicht zu benutzen. Sie gehören dann nicht zu den Pflegekindern, wenn sie nur vorübergehend in die Pflegefamilie aufgenommen werden. Nach den Begrifflichkeiten des SGB VIII sind Kinder, die sich in Tagespflege befinden, keine Pflegekinder. Dies folgt schon daraus, dass nach § 43 Abs. 1 SGB VIII di...