0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
Die Vorschrift ist mit dem Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz (UVNG) eingeführt und durch das Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz (UVEG) nicht geändert worden. Sie entspricht dem bis zum 31.12.1996 geltenden Recht (§ 606 RVO).
1 Allgemeines
Rz. 1a
Ein Versicherter, dessen Rente lebenslang abgefunden wurde und der danach durch einen Verschlimmerungstatbestand Schwerverletzter geworden ist, hat ein besonderes Schutzbedürfnis, weil er auf die Rente als laufende Leistung angewiesen ist, während Versicherte mit einer MdE von weniger als 40 % noch Erwerbseinkommen erzielen können und daher nicht in gleichem Maße auf die laufende Rente zur Sicherung des Lebensunterhalts angewiesen sind. Der Gesetzgeber sieht für diesen Fall das Wiederaufleben der abgefundenen Rente vor.
Rz. 2
In der amtlichen Begründung zum UVNG (BT-Drs. IV/120 S. 60) wird dargelegt, dass die Fälle einer besonderen Regelung bedürfen, in denen ein abgefundener Verletzter infolge Verschlimmerung der Unfallfolgen zum Schwerverletzten wird. In solchen Fällen scheint es gerechtfertigt, die Rechtslage wiederherzustellen, die ohne Abfindung bestehen würde, um den Verletzten in den vollen Genuss der Schwerbeschädigten-Leistungen kommen zu lassen.
2 Rechtspraxis
2.1 Schwerverletzter
Rz. 3
Die Vorschrift verweist zwar nicht auf die Legaldefinition des Schwerverletztenbegriffs in § 57, es sind aber keine Gründe erkennbar, die das Gegenteil annehmen lassen. Die Schwerverletzteneigenschaft kann sich durch die Verschlimmerung der Folgen des Versicherungsfalls, für die der Versicherte abgefunden wurde, oder durch die Verschlimmerung bzw. die Folgen eines weiteren Versicherungsfalls allein ergeben. Den Versicherungsfällen aus der Unfallversicherung gleichgestellte Entschädigungsfälle nach § 56 Abs. 1 Satz 4 sind hingegen nicht zu berücksichtigen.
Rz. 4
Eine neue Feststellung der Rente kann hier abweichend von § 73 Abs. 3 auch vorgenommen werden, wenn sich die Folgen des Versicherungsfalls lediglich um 5 % verschlechtert haben und der Versicherte hierdurch Schwerverletzter wird. Dass hier zur Erreichung der Schwerverletzteneigenschaft keine wesentliche Verschlimmerung, d. h. eine Erhöhung der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 10 % vorliegen muss, wird schon durch die Tatsache verdeutlicht, dass der Gesetzgeber in § 76 Abs. 3 unter Bezugnahme auf § 73 Abs. 3 von einer wesentlichen Änderung spricht, während hier lediglich die Tatsache, dass der Versicherte Schwerverletzter wird, ausreicht. Dies ist auch aus sachlichen Gründen gerechtfertigt, um den Versicherten in den Genuss der mit der Schwerverletzteneigenschaft verbundenen wesentlichen Vorteile kommen zu lassen (vgl. BSG, Urteil v. 29.11.1973, 8/7 RU 62/71).
2.2 Wiederaufleben des Rentenanspruchs
Rz. 5
Das Wiederaufleben der abgefundenen Rente muss vom Versicherten beantragt werden. Eine Antragsfrist gibt es nicht, die Verjährung gem. § 45 Abs. 1 SGB I ist jedoch zu beachten. Der Antrag ist formlos möglich. Wird kein Antrag gestellt, ist von Amts wegen die Rente nach § 76 Abs. 3 zu zahlen, worüber der Versicherte gemäß § 14 SGB I vorher zu informieren ist. Nach einer bindenden Entscheidung nach § 76 Abs. 3 ist der Antrag nicht mehr zulässig (Ricke, in: KassKomm, SGB VII, § 77 Rz. 4).
Rz. 6
Solange der Versicherte Schwerverletzter ist, wird er so gestellt, als ob seine Rente/n nicht abgefunden wäre/n. Im Gegensatz zu § 76 Abs. 3, der eine Verschlimmerung von mehr als 3 Monaten voraussetzt, verlangt § 77 nach seinem Wortlaut nicht, dass die Schwerverletzteneigenschaft mindestens für eine bestimmte Dauer bestehen muss. Ob die Schwerverletzteneigenschaft dennoch über eine bestimmte Mindestdauer hinweg bestehen muss, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Der befürwortende Teil ist der Auffassung, dass es Sinn und Zweck des Gesetzes gebietet, eine so gravierende und auf Dauer angelegte Rechtsfolge nur bei Erreichen einer Mindestdauer vorzusehen (Kranig, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 77 Rz. 3; Bereiter-Hahn/Mehrtens, SGB VII, § 77 Rz. 3; Merten, in: Eichenhofer/Wenner, SGB VII, § 77 Rz. 4; Ricke, in: KassKomm, SGB VII, § 77 Rz. 6). In welcher Höhe eine Mindestdauer anzunehmen ist, wird ebenfalls uneinheitlich beurteilt, wobei überwiegend davon ausgegangen wird, dass in Anlehnung an § 73 Abs. 3 eine Dauer von 3 Monaten ausreichend sein dürfte (so u. a. Bereiter-Hahn/Mehrtens, a. a. O.; Kranig, a. a. O.). Die ablehnende Auffassung wird damit begründet, dass es der Gesetzgeber offenbar nicht für geboten gehalten hat, eine Mindestdauer festzuschreiben; es sei nicht ersichtlich, aus welchen Gründen hier eine Analogie zwingend sein sollte (so Plum, in: Podzun, Der Unfallsachbearbeiter, 05/18, US 0640; Schmitt, SGB VII, § 77 Rz. 6; Burchardt, in: Brackmann, SGB VII, § 77 Rz. 8a; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 7.7.1987, L 5 U 30/87). Die wiederaufgelebte Rente fällt daher nicht schon deshalb weg, weil der Versicherte nicht mehr Schwerverletzter ist (vgl. BSG, Urteil v. 8.9.1977, 2 RU 45/77).
Rz. 7
Die wiederaufgelebte Rente ist erst von dem Zeitpunkt an zu leisten, von dem ab der Versicherte...