2.3.1.1 Überblick
Rz. 119
Versichert ist der Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit (Rz. 126). Es muss sich dabei nicht zwingend um den Weg von und nach dem häuslichen Bereich handeln (BSG, Urteil v. 27.4.2010, B 2 U 23/09 R). Der Weg muss mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängen, mithin muss der innere Zusammenhang gegeben sein (Rz. 120). Grundsätzlich ist nur der unmittelbare Weg versichert (vgl. Rz. 131 bis 135). Sind alle Voraussetzungen gegeben, so ist der Weg selbst versicherte Tätigkeit. Die Nr. 2 bis 4 dehnen den Versicherungsschutz aus sozialpolitischen Gründen weiter aus. Nr. 5 regelt den sog. Arbeitsgeräteunfall, der mit dem Wegeunfall nur in eingeschränktem Maße vergleichbar ist.
2.3.1.2 Innerer Zusammenhang
Rz. 120
Nur der mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängende Weg ist versichert. Somit muss ein innerer Zusammenhang zwischen dem Zurücklegen dieses Weges und der versicherten Tätigkeit bestehen. Bei der Feststellung des inneren Zusammenhangs zwischen dem zum Unfall führenden Verhalten und der Betriebstätigkeit geht es um die Ermittlung der Grenze, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht. Es ist daher wertend zu entscheiden, ob das Handeln des Versicherten zur versicherten betrieblichen Tätigkeit – hier zum Weg zur oder von der Arbeitsstätte – gehört (BSG, Urteil v. 30.4.1985, 2 RU 24/84; Urteil v. 2.7.1996, 2 RU 16/95).
Der zeitliche und räumliche Zusammenhang ist dabei zwar Indiz, reicht jedoch allein nicht aus. Entscheidend ist die finale Handlungstendenz des Betreffenden (BSG, Urteil v. 17.12.2015, B 2 U 8/14 R; Urteil v. 20.3.2007, B 2 U 19/06 R; Urteil v. 28.4.2004, B 2 U 20/03 R). Fehlt es an der Handlungstendenz und damit am inneren Zusammenhang, so besteht selbst dann kein Versicherungsschutz, wenn sich der Unfall auf der Wegstrecke ereignet, die der Betreffende gewöhnlich auf dem Weg zur Arbeit geht oder fährt (BSG, Urteil v. 26.1.1978, 2 RU 39/77; Urteil v. 19.10.1982, 2 RU 24/81).
Rz. 120a
Diese Grundsätze gelten auch für die Fälle, in denen ein Streit, ein tätlicher Angriff, ein Überfall, eine Vergewaltigung oder ein sonstiger sexueller Übergriff auf einem nach Abs. 2 versicherten Weg sich ereignet hat (vgl. dazu Rz. 104 bis 106 und 113a).
2.3.1.3 Schutzzweck der Norm
Rz. 120b
Der Versicherungstatbestand des Abs. 2 Nr. 1 trägt wie die die Wegeunfallversicherung einführende Regelung des § 545a RVO i. d. F. v. 14.7.1925 (RGBl. 1925 S. 97) allein den Gefahren Rechnung, die sich während der gezielten Fortbewegung im Verkehr aus eigenem, gegebenenfalls auch verbotswidrigem Verhalten, dem Verkehrshandeln anderer Verkehrsteilnehmer oder Einflüssen auf das versicherte Zurücklegen des Weges ergeben, die aus dem benutzten Verkehrsraum oder Verkehrsmittel auf die Fortbewegung wirken (BSG, Urteil v. 13.11.2012, B 2 U 19/11 R). Nur für Schäden, die innerhalb dieses Schutzzweckes der Wegeunfallversicherung liegen, hat die gesetzliche Unfallversicherung einzustehen.
1. Fall:
Ein Arbeitnehmer kommt mit seinem Pkw auf dem Nachhauseweg von der versicherten Tätigkeit von der Straße ab und erleidet erhebliche Verletzungen. Ein technisches Versagen des Pkw, widrige Wetter- oder Straßenverhältnisse oder andere äußere Einflüsse auf die Fahrt konnten nicht festgestellt werden. Eine anschließend durchgeführte Alkoholkontrolle ergab zwar einen Blutalkoholgehalt von 2,2 ‰. Die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des nicht alkoholkranken Versicherten war jedoch nach den Feststellungen der Tatsacheninstanzen vor Antritt seiner Fahrt nicht aufgehoben.
Das BSG (a. a. O.) hat nicht auf den Blutalkoholgehalt und eine ggf. daraus resultierende Fahruntüchtigkeit, sondern auf den Schutzzweck der Wegeunfallversicherung abgestellt. Da keine Tatsachen festgestellt werden konnten, wonach das Abkommen des Versicherten von der Straße als Realisierung einer Verkehrsgefahr zu qualifizieren sei, lasse sich der Eintritt eines vom Schutzzweck der Wegeunfallversicherung erfassten Risikos nicht positiv feststellen.
2. Fall:
Der Arbeitnehmer fiel auf einem Bahnsteig des Hauptbahnhofs, an dem die Bahn zur Universität abfährt, um, prallte mit dem Kopf auf den Boden und erlitt ein Schädel-Hirn-Trauma mit Hirnblutung. Weshalb er umfiel, war nach Ausschöpfung aller Beweismittel nicht feststellbar. Der Verletzte hatte selbst keine Erinnerung an den Vorfall.
Das BSG (Urteil v. 17.12.2015, B 2 U 8/14 R) hat ebenso wie zuvor das LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil v. 6.5.2014, L 15 U 563/12) das Vorliegen eines Wegeunfalls verneint. Der Verletzte habe zwar einen Unfall erlitten. Er war als Studierender i. S. d. § 2 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. c grundsätzlich in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert. Ob er sich zum Zeitpunkt des Unfalls auf einem mit dieser versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weg nach und von dem Ort dieser Tätigkeit befand, wie es § 8 Abs. 2 Nr. 1 voraussetzt, hat das BSG offen gelassen. Damit ist bereits nicht die Handlungstendenz des Verletzten zur Zeit des Unfalls und der daraus folgende sachliche Zusammenhang mit der ver...