Leitsatz
1. Hat ein Erzeuger während eines Zwölfmonatszeitraums Milch an eine Molkerei geliefert und dadurch von seiner Referenzmenge Gebrauch gemacht, kann in demselben Zwölfmonatszeitraum weder von ihm noch von einem anderen Erzeuger auf die so ausgenutzte Referenzmenge Milch abgabenfrei geliefert werden. Die Übertragung einer bereits ausgenutzten Referenzmenge kann das Recht zur abgabenfreien Milchlieferung in dem betreffenden Zwölfmonatszeitraum nicht wieder aufleben lassen.
2. Dem EuGH werden folgende Fragen vorgelegt:
a) Ist das Gemeinschaftsrecht, insbesondere Art. 5 Buchst. k VO Nr. 1788/2003 über die Erhebung einer Abgabe im Milchsektor, dahin zu verstehen, dass die Referenzmenge eines Erzeugers, der einen Betrieb während eines laufenden Zwölfmonatszeitraums von einem anderen Erzeuger übernommen hat, nicht die Menge umfasst, auf die während des betreffenden Zwölfmonatszeitraums von jenem anderen Erzeuger vor dem Betriebsübergang Milch geliefert worden ist?
b) Stehen Regelungen des Gemeinschaftsrechts oder allgemeine Grundsätze der gemeinsamen Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse einer Regelung des nationalen Rechts entgegen, die im Rahmen der in Art. 10 Abs. 3 VO Nr. 1788/2003 vorgesehenen Saldierung des ungenutzten Anteils der einzelstaatlichen Referenzmenge mit Überlieferungen in dem in der ersten Frage zugrunde gelegten Fall den Erzeuger, der den Betrieb während des Zwölfmonatszeitraums übernommen hat, auch mit dem von dem anderen Erzeuger belieferten Teil der Referenzmenge an der Zuteilung jenes Anteils teilnehmen lässt?
Normenkette
§ 14 MilchAbgV, Art. 5 VO Nr. 1788/2003
Sachverhalt
Ein Milchbauer hatte den von ihm bewirtschafteten Betrieb erst im Lauf des Milchwirtschaftsjahrs übernommen. Bereits vor der Betriebsübernahme war von dem vormaligen Betriebsinhaber Milch erzeugt und an eine Molkerei verkauft worden. Die Referenzmenge, die für den Betrieb festgesetzt und nach Maßgabe der hierüber erteilten Bescheinigung der Landwirtschaftsbehörde mit dem Betrieb auf den neuen Inhaber übergegangen war, ist am Ende des Jahrs überschritten worden. Deshalb setzte das HZA gegen den eingangs genannten Milchbauern eine Milchabgabe fest.
Dabei berücksichtigte das HZA im Rahmen des Saldierungsverfahrens von anderen Erzeugern ungenutzte Referenzmengen nur entsprechend dem Teil vorgenannter Referenzmenge, der von dem Milchbauern nach dem Betriebsübergang noch beliefert werden konnte; der Rest der – insoweit von dem vormaligen Betriebsinhaber belieferten – Referenzmenge blieb bei der Bemessung seines Saldierungsanteils unberücksichtigt.
Der deswegen gegen den Milchabgabe-Bescheid erhobenen Klage gab das FG statt, weil es durch die Bescheinigung der Landwirtschaftsbehörde über die von dem vormaligen Betriebsinhaber übergegangene Referenzmenge als für das HZA verbindlich entschieden ansah, dass bei der Saldierung von Über- und Unterlieferungen die dem Betrieb zustehende Referenzmenge ungeachtet der von dem vormaligen Betriebsinhaber vorgenommenen Milchlieferungen zu berücksichtigen ist.
Entscheidung
Der BFH hat dem EuGH aufgrund der aus den Praxishinweisen ersichtlichen Überlegungen die eingangs genannten Fragen zur Vorabentscheidung gem. Art. 234 EG vorgelegt. Der Ansicht des FG, die Fragen seien durch die Bescheinigung der Landwirtschaftsbehörde bereits verbindlich entschieden, ist der BFH aufgrund einer eigenen, abweichenden Auslegung dieser Bescheinigung nicht gefolgt.
Hinweis
1. Im Rahmen der Milchmarktordnung ist bekanntlich für jeden Bauern, der Milch an eine Molkerei liefern möchte, eine sog. Referenzmenge festgesetzt. Sie drückt gleichsam das Produktionsrecht dieses Bauern aus; wer über seine Referenzmenge hinaus Milch liefert, muss eine so hohe Abgabe an das HZA zahlen, dass ihm die Lust an der Milchproduktion gründlich genommen wird.
Die Referenzmenge bezieht sich auf das Milchwirtschaftsjahr (April bis März). Wechselt ein Betrieb während des Jahrs den Inhaber, liegt nach Sinn und Zweck der Referenzmengeregelung auf der Hand, dass dies an der Höhe der Referenzmenge nichts ändert. Der neue Betriebsinhaber kann also nicht etwa die gesamte Referenzmenge für sich in Anspruch nehmen; er darf abgabefrei Milch vielmehr nur insoweit liefern, als ihm der vormalige Betriebsinhaber noch einen Anteil an der Referenzmenge übrig gelassen hat, dieser also mit anderen Worten die Referenzmenge noch nicht selbst beliefert hat.
Diese grundlegende Erkenntnis drückt der erste Leitsatz aus. Sie erschien dem BFH klar und zweifelsfrei. Aus dieser Perspektive des Produktionsrechts ist die Referenzmenge wohl bisher überall betrachtet worden. Dadurch ist weitgehend das Bewusstsein dafür verschüttet worden, dass die Referenzmenge keineswegs nur das Recht zur abgabenfreien Milchproduktion verkörpert. Sie ist vielmehr Bezugsgröße auch in anderen rechtlichen Zusammenhängen, insbesondere dem sogenannten Saldierungsverfahren bei der Milchabgabefestsetzung (aber auch im Rahmen der Milchprämienregelung, siehe dazu das Vorabentscheidun...