Leitsatz
1. Es ist nicht missbräuchlich (§ 42 AO), wenn eine inländische Bank ihre Kunden veranlasst, Zinsscheine von Inhaberschuldverschreibungen (sog. Tafelpapiere) über ein ausländisches Kreditinstitut einzulösen. Auszahlende Stelle i.S.v. § 44 Abs. 1 S. 3 EStG 1997/2002 ist dann das ausländische Kreditinstitut, das nach § 44 Abs. 1 S. 4 Nr. 1 Buchst. a Doppelbuchst. bb EStG 1997/2002 nicht zum Einbehalt und zur Abführung von Kapitalertragsteuer verpflichtet ist.
2. Die Steuerabzugspflicht eines inländischen Kreditinstituts tritt bei der Einlösung solcher Tafelpapiere jedoch ein, wenn der Gegenwert der Zinsscheine zwar ausländischen Kreditinstituten gutgeschrieben wird, jene aber bei wertender Betrachtung als bloße "Auszahlstellen" des inländischen Kreditinstituts aufgetreten sind. Dies ist der Fall, wenn sich das inländische Kreditinstitut verpflichtet hatte, ihm von dem ausländischen Kreditinstitut vorgelegte Zinsscheine von Inhaberschuldverschreibungen nicht über die Landesbank oder eine andere sog. Clearingstelle, sondern direkt über sich selbst einzulösen.
Normenkette
§ 44 Abs. 1 S. 3, S. 4 Nr. 1 Buchst. a Doppelbuchst. bb, Abs. 5 S. 1 EStG
Sachverhalt
Klägerin ist eine Sparkasse. Ihre Kunden besaßen Inhaberschuldverschreibungen, die inländische Kreditinstitute (auch die Klägerin selbst) als sog. Tafelpapiere ausgegeben hatten. Bei der Auszahlung von Zinsen auf diese Papiere war nach der Rechtslage ab 01.01.1993 grundsätzlich eine anrechenbare KapESt (sog. Zinsabschlag) von der auszahlenden Stelle einzubehalten (§ 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 7 Buchst. a, § 43a Abs. 1 Nr. 4, § 44 Abs. 1 S. 3 und 4 Nr. 1 Buchst. a EStG 1997/2002).
Mitarbeiter der Klägerin haben ab Einführung des Zinsabschlags Kunden, die zur Einlösung von Inhaberschuldverschreibungen in Filialen oder der Zentrale der Klägerin erschienen sind, darauf hingewiesen, dass es durch Einlösung bei ausländischen Kreditinstituten möglich sei, den ansonsten gebotenen Zinsabschlag von 35 % zu vermeiden. Teilweise wurden den Kunden zur Einlösung bereite ausländische Kreditinstitute im nahe gelegenen Ausland benannt und die Kunden dort telefonisch avisiert. Zwischen der Klägerin und einer ausländischen Bank war eine Vereinbarung dahingehend getroffen worden, dass diese Bank ihr vorgelegte Zinsscheine (u.a.) der Klägerin nicht über die Landeszentralbank oder eine andere sog. Clearingstelle, sondern unmittelbar über die Klägerin einlöste, wobei die Letztere für die Einlösung einen Teil der bei der Auszahlung einbehaltenen Gesamtprovision (Anteil der Klägerin: 1 % des jeweiligen Zinsertrags) erhalten sollte.
Das FA sah das als rechtsmissbräuchlich an und forderte gegenüber der Klägerin für die Jahre 1993 bis 2002 KapESt nach (gem. § 167 Abs. 1 S. 1 AO i.V.m. § 44 Abs. 5 S. 1 EStG 1997/2002). Die anschließende Klage war erfolgreich (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 17.07.2008, 3 K 143/05, Haufe-Index 2051080, EFG 2008, 1965).
Entscheidung
Der BFH hob auf Revision des FA das FG-Urteil auf und verwies die Sache zur weiteren Sachaufklärung zurück: Zwar seien die zusammenwirkenden "Aktionen" zwischen Auslands-, Inlandsbank und Kunden angesichts der "gewollten" Regelungslage, Auslandsbanken prinzipiell von der KapESt-Pflicht zu verschonen, nicht rechtsmissbräuchlich. Jedoch könne es in krassen Fällen des Zusammenwirkens gerechtfertigt sein, nicht die Auslandsbank, sondern ungeachtet der reinen Auszahlungsvorgang bei dieser Bank die Inlandsbank als die "eigentlich" auszahlende Stelle i.S. d. Gesetzes anzusehen, nämlich dann, wenn sich die Auslandsbank nur als "verlängerter Arm" der Inlandsbank darstelle. Dann gehe eine Haftungsinanspruchnahme der Inlandsbank für die KapESt auf die anonym eingelösten Tafelpapiere in Ordnung.
Hinweis
1. Die Entscheidung betrifft die Einlösung von (anonymen) Tafelpapierenüber Auslandsbanken als sog. auszahlende Stelle. Solche Vorgänge lösen nach der einschlägigen Regelungslage gemeinhin keine KapESt aus; § 44 Abs. 1 S. 3, S. 4 Nr. 1 Buchst. a Doppelbuchst. bb EStG verlangt solches nur bei Inlandsbanken, nicht aber von ausländischen Kreditinstituten.
2. Der Umstand, dass Auslandsbanken nicht in die Abzugspflicht einbezogen werden, kann Vermeidungsstrategien auslösen, die zwar nicht erwünscht, vom Gesetzgeber jedoch "offenen Auges" hingenommen werden.
Gelingt es also, entsprechende Zinspapiere im Ausland anonym zu platzieren, besteht regelmäßig keine Möglichkeit, die Einschaltung der Auslandsbank als rechtsmissbräuchlich anzusehen. Das gilt generell auch dann, wenn "Auslöser" derartiger Vermeidungsstrategien eine Inlandsbank ist, die ihre Kunden entsprechende Wege aufzeigt. Der BFH belässt darüber keinen Zweifel: die Inanspruchnahme der "wegweisenden" Inlandsbank als KapESt-Haftende geht regelmäßig ins Leere.
3. Allerdings: Es bleibt natürlich dabei, dass das Ganze nur wenig erbaulich ist und ein "Geschmäckle" hat. Letzten Endes wirken Inlands-, Auslandsbank und Bankkunde kollusiv zulasten des Fiskus zusammen.
Für den Fall, dass die Auslandsbank bei...