Leitsatz
1. Ist aufgrund "sonstiger Informationen" i.S.d. Art. 5 Abs. 3 VO Nr. 615/98 anzunehmen, dass ein zum Transport lebender Rinder eingesetztes Transportmittel zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht den Anforderungen unionsrechtlicher Tierschutzbestimmungen entsprach, trägt der Ausführer die Feststellungslast dafür, dass die am Transportmittel festgestellten Mängel später nicht mehr vorlagen.
2. Gelingt dieser Nachweis nicht, ist die Ausfuhrerstattung zu versagen. Die unionsrechtlichen Vorschriften räumen dem HZA insoweit kein gerichtlich nur beschränkt überprüfbares Ermessen ein.
3. Das Revisionsgericht ist an die Tatsachenwürdigung durch das FG nicht gebunden, wenn dieser eine Grundlage fehlt, die das Revisionsgericht in die Lage versetzt nachzuvollziehen, wie das FG zu der seine Entscheidung tragenden Überzeugung gelangt ist (Bestätigung der Rechtsprechung).
Normenkette
Art. 5 Abs. 2, Art. 5 Abs. 3, VO (EG) Nr. 615/98, RL 91/628/EWG, § 118 Abs. 2 FGO
Sachverhalt
In 1999 wurden lebende Rinder zur Ausfuhr angemeldet. Die dafür beantragte Ausfuhrerstattung versagte das HZA dem Ausführer, weil bei dem Transport der Rinder die RL über den Schutz von Tieren beim Transport nicht eingehalten worden sei. Die Rinder seien mit einem Schiff befördert worden, das 1997 von dem tierärztlichen Sachverständigen des Lebensmittel- und Veterinäramts der Kommission mit dem Ergebnis überprüft worden war, dass es nicht für den Transport von Lebendvieh geeignet sei.
Das FG hatte gleichwohl das HZA verpflichtet, den Antrag auf Ausfuhrerstattung erneut zu bescheiden (FG Hamburg, Urteil vom 24.11.2009, 4 K 58/08, Haufe-Index 2306173, EFG 2010, 895).
Entscheidung
Der BFH hat das FG-Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Hinweis
1. Ausfuhrerstattung wird für lebendes Vieh nur gewährt, wenn dieses entsprechend den Anforderungen des Tierschutzes behandelt (transportiert) wird. Dazu bestehen detaillierte europarechtliche Vorschriften. Wird gegen diese verstoßen, kann das Hauptzollamt (HZA) oder das FG nicht etwa deshalb gleichwohl Ausfuhrerstattung gewähren, weil es den Verstoß als nicht besonders schwerwiegend ansieht (oder gar die Tierschutzbestimmungen für überzogen oder völlig überflüssig hält).
Es geht bei alledem um die Subsumtion des konkreten Falls unter die entsprechenden Unionsvorschriften, also eine Rechtsentscheidung. Die Ansicht des FG in der Vorentscheidung, das HZA müsse trotz eines Verstoßes der vorgenannten Art die Ausfuhrerstattung ganz oder zumindest teilweise gewähren und könne darüber eine Ermessensentscheidung treffen, ist, wenn man sich diesen Zusammenhang vergegenwärtigt, haltlos. In diesem Sinne hat sich nicht nur der BFH, sondern inzwischen auch der EuGH ausgesprochen (EuGH, Urteil vom 30.06.2011, C-485/09, Viamex Agrar Handels GmbH).
Allerdings ist der EuGH an der Konfusion, in die das FG in der Vorentscheidung gestürzt ist, nicht ganz unschuldig; hat er doch in früheren Entscheidungen, die in diesem rechtlichen Zusammenhang ergangen sind, selbst von "einem gewissen Ermessen" gesprochen, das die Erstattungsbehörde bei der Ahndung von Verstößen gegen die Tierschutzvorschriften habe. Dass solche Worte in der Entscheidung eines europäischen Gerichts wie des EuGH nicht kurzerhand und kurzschlüssig im Sinne der deutschen Verwaltungsrechtsterminolgie verstanden werden dürfen, hat sich ersichtlich nicht jedermann erschlossen.
2. Die Feststellungen des FG sind gem. § 118 Abs. 2 FGO für den BFH grundsätzlich bindend. Diese Bindung stößt aber – man könnte beinahe sagen: selbstverständlich – dort an eine Grenze, wo das FG in Wahrheit keine auf Beweiswürdigung beruhende Feststellungen getroffen hat, sondern sich einen Sachverhalt gleichsam ausdenkt und ihn – zulasten des einen oder des anderen Beteiligten – schlicht unterstellt oder jedenfalls für eine angebliche Überzeugung keine nachvollziehbare tatsächliche Grundlage benennen kann. Auch die Befugnis zur freien Beweiswürdigung ist also nur eine Befugnis zur ernsthaften Auseinandersetzung mit den vorliegenden Beweisen, aber kein Freibrief für Sachverhaltsklitterungen.
Ist der Sachverhalt nicht aufklärbar, muss nach der Feststellungslast entschieden werden.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 17.05.2011 – VII R 40/10