Prof. Dr. Heinz-Jürgen Pezzer
Leitsatz
1. Aufwendungen eines Steuerpflichtigen für ein Erststudium, welches zugleich eine Erstausbildung vermittelt und das nicht im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattgefunden hat, sind nach § 12 Nr. 5 i.V.m. § 4 Abs. 9 EStG i.d.F. d. BeitrRLUmsG keine (vorweggenommenen) Betriebsausgaben bei den Einkünften aus selbstständiger Arbeit.
2. Die bereits für die Veranlagungszeiträume ab 2004 anzuwendenden gesetzlichen Neuregelungen in § 12 Nr. 5 und § 4 Abs. 9 EStG i.d.F. d. BeitrRLUmsG sind verfassungsgemäß. Sie enthalten weder eine unzulässige verfassungsrechtliche Rückwirkung noch verstoßen sie gegen den Gleichheitssatz i.S.d. Art. 3 Abs. 1 GG.
Normenkette
§ 4 Abs. 9, § 12 Nr. 5, § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG i.d.F.d. BeitrRLUmsG
Sachverhalt
Der in der Wohnung seiner Eltern mit Zweitwohnsitz gemeldete Kläger absolvierte seit dem Sommersemester 2003 ein Jurastudium als Erststudium. Am Studienort, an dem er mit Hauptwohnsitz gemeldet war, unterhielt er eine "Studentenbude" von knapp 25 qm und machte dafür erfolglos Aufwendungen als vorweggenommene Betriebsausgaben bei den Einkünften aus selbstständiger Arbeit geltend.
Das FG wies die Klage ab (FG Münster, Urteil vom 18.4.2012, 10 K 4400/09 F, Haufe-Index 3019107, EFG 2012, 1433).
Entscheidung
Die Revision zum BFH blieb ebenfalls erfolglos. Wegen der Einzelheiten wird auf die Praxis-Hinweise verwiesen.
Hinweis
1.Bekanntlich waren ursprünglich nach der langjährigen Rechtsprechung des BFH (vgl. BFH, Urteile vom 17.4.1996, VI R 94/94, BFHE 180, 341, BStBl II 1996, 450, m.w.N.; vom 4.12.2002, VI R 120/01, BFHE 201, 156, BStBl II 2003, 403; vom 17.12.2002, VI R 137/01, BFHE 201, 211, BStBl II 2003, 407, und vom 27.5.2003, VI R 33/01, BFHE 202, 314, BStBl II 2004, 884) die Aufwendungen für eine erstmalige Berufsausbildung als Kosten der privaten Lebensführung nicht abziehbar, außer wenn sie im Rahmen eines Dienstverhältnisses anfielen.
2.Mit dem AOÄndG hatte der Gesetzgeber Aufwendungen für die eigene Berufsausbildung im neu gefassten § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG bis zur Höhe von 4.000 EUR im Kalenderjahr zum Sonderausgabenabzug zugelassen und gleichzeitig § 12 EStG durch eine neue Nr. 5 ergänzt, wonach Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine erstmalige Berufsausbildung und für ein Erststudium als nicht abzugsfähige Ausgaben zu bewerten sind, es sei denn, diese Maßnahmen finden im Rahmen eines Dienstverhältnisses statt. Diese Regelung trat gem. Art. 6 des AOÄndG mit Wirkung vom 1.1.2004 in Kraft.
3.Diese langjährige Rechtsanwendungspraxis hat der BFH im Juli 2011 aufgegeben und entschieden, das seit 2004 geltende grundsätzliche Abzugsverbot für Kosten eines Studiums und einer Erstausbildung stehe der Abziehbarkeit beruflich veranlasster Kosten für eine Erstausbildung oder für ein Erststudium selbst dann nicht entgegen, wenn diese Maßnahmen unmittelbar im Anschluss an die Schulausbildung durchgeführt werden (BFH, Urteile vom 28.7.2011, VI R 5/10, BFHE 234, 262, BStBl II 2012, 553; VI R 8/09, BFH/NV 2011, 2038; VI R 38/10, BFHE 234, 279, BStBl II 2012, 561; VI R 59/09, BFH/NV 2012, 19; in BFHE 234, 271, BStBl II 2012, 557).
4. Auf diese geänderte Rechtsprechung hat der Gesetzgeber reagiert und mit der Neufassung von § 4 Abs. 9, § 9 Abs. 6 und § 12 Nr. 5 EStG lediglich seinen bereits 2004 zutage getretenen Willen verdeutlicht.
5.Der Gesetzgeber hat bekanntlich das letzte Wort. An der Rechtslage ist nun nicht mehr zu deuteln. Zu prüfen blieb für den BFH (hier: dessen VIII. Senat) nur noch, ob die nunmehr getroffene Regelung verfassungsgemäß ist. Das hat der BFH bejaht:
a) |
Die Neuregelungen verstoßen insbesondere nicht gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Rückwirkungsverbot.
aa) |
Zwar handelt es sich hier für die Streitjahre 2004 und 2005 um einen Fall echter Rückwirkung, die grundsätzlich unzulässig ist. |
bb) |
Jedoch kann dieses Rückwirkungsverbot durchbrochen sein, wenn sich kein schützenswertes Vertrauen auf den Bestand des geltenden Rechts bilden konnte, etwa weil die Rechtslage unklar und verworren war. Auch ist es dem Gesetzgeber unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes nicht verwehrt, rückwirkend eine Rechtslage festzuschreiben, welche vor der Änderung einer Rechtsprechung einer einheitlichen Rechtspraxis und gefestigter Rechtsprechung entsprach. |
cc) |
Im Streitfall bestand danach für den Kläger kein schutzwürdiges Vertrauen in die durch die vorgenannten BFH-Urteile vom 28.7.2011 geschaffene Rechtslage. Auch wenn der BFH ab 2002 die Grenze zwischen den nur als Sonderausgaben abziehbaren Ausbildungskosten und den unter bestimmten Voraussetzungen als Werbungskosten oder Betriebsausgaben abziehbaren Fortbildungskosten in Richtung Fortbildungskosten verschoben hat, hat der BFH die grundsätzliche Abziehbarkeit von Aufwendungen für ein Erststudium, welches zugleich eine Erstausbildung vermittelt, erstmalig mit den vorstehend genannten Entscheidungen vom 28.7.2011, d.h. weit nach Ablauf der Streitjahre 2004 und 2005, bejaht. |
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b) |
Die gesetzlichen Neuregelungen in § 4 Abs. 9, § 9... |