Leitsatz
1. Das Merkmal "vollständige Anschrift" in § 14 Abs. 4 Nr. 1 UStG erfüllt nur die Angabe der zutreffenden Anschrift des leistenden Unternehmers, unter der er seine wirtschaftlichen Aktivitäten entfaltet.
2. Sind Tatbestandsmerkmale des Vorsteuerabzugs nicht erfüllt, kann dieser im Festsetzungsverfahren auch dann nicht gewährt werden, wenn der Leistungsempfänger hinsichtlich des Vorliegens dieser Merkmale gutgläubig war.
3. Kommt der Unternehmer seinen Nachweispflichten gemäß § 6a Abs. 3 UStG, §§ 17a, 17c UStDV nicht nach, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung nicht erfüllt sind. Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn zweifelsfrei feststeht, dass die Voraussetzungen der Steuerfreiheit erfüllt sind.
Normenkette
§ 4 Nr. 1, § 6a, § 14 Abs. 4, § 15 Abs. 1 UStG 2005, §§ 17a ff. UStDV, § 163, § 227 AO, Art. 131, Art. 138, Art. 178, Art. 219a ff., Art. 226 Nr. 5 MwStSystRL
Sachverhalt
Die Klägerin, eine GmbH, handelte in den Streitjahren 2007 und 2008 mit Kraftfahrzeugen. Das Finanzamt ging davon aus, dass die Klägerin aus Rechnungen der Firma D den Vorsteuerabzug zu Unrecht in Anspruch genommen habe. D habe unter der in den Rechnungen angegebenen Anschrift keinen Sitz unterhalten. Zudem habe die Klägerin innergemeinschaftliche Lieferungen zu Unrecht als steuerfrei behandelt. Einspruch und Klage zum Finanzgericht (FG Düsseldorf vom 14.3.2014, 1 K 4567/10 U, Haufe-Index 7942664) hatten keinen Erfolg.
Entscheidung
Der BFH Bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz.
Hinweis
1. Die Ausübung des Vorsteuerabzugs setzt gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 UStG voraus, dass der Unternehmer eine nach §§ 14, 14a UStGausgestellte Rechnung besitzt. Die Rechnung muss insbesondere die vollständige Anschrift des leistenden Unternehmers enthalten (§ 14 Abs. 4 Nr. 1 UStG).
2. In Bezug auf die Anforderungen, die an das Erfordernis der Angabe der Unternehmeranschrift zu stellen sind, hat der BFH seine Rechtsprechung geändert.
a) Der BFH ging bislang davon aus, dass u.U. auch ein "Briefkastensitz"mit nur postalischer Erreichbarkeit ausreichen kann (BFH vom 19. April 2007, V R 48/04, BStBl II 2009, 315).
b) Hieran hält der BFH nunmehr nicht mehr fest. Nach nunmehriger Auffassung setzt die Angabe einer "vollständige Anschrift" gemäß § 14 Abs. 4 Nr. 1 UStG voraus, dass in der Rechnung die zutreffende Anschrift des leistenden Unternehmers, unter der er seine wirtschaftlichen Aktivitäten entfaltet, angegeben wird. Hierfür führt der BFH den Sinn und Zweck von § 15 Abs. 1 und § 14 Abs. 4 Nr. 1 UStG wie auch das Prinzip des Sofortabzugs der Vorsteuer an. Danach sei es erforderlich, dass der Finanzverwaltung anhand der Rechnung eine eindeutige und leichte Nachprüfbarkeit des Tatbestandsmerkmals der Leistung eines anderen Unternehmers ermöglicht werde. Der in der Rechnung angegebene Sitz des leistenden Unternehmers müsse bei Ausführung der Leistung und Rechnungstellung tatsächlich bestanden haben. Hierfür trage der den Vorsteuerabzug begehrende Leistungsempfänger die Feststellungslast. Die Angabe einer Anschrift, an der im Zeitpunkt der Rechnungstellung keinerlei geschäftliche Aktivitäten stattfinden, reiche nicht aus. Damit möglicherweise nicht vereinbar ist die Auffassung der Finanzverwaltung, nach der die Angabe eines Postfaches genügen soll (Abschn. 14.5 Abs. 2 Satz 3 UStAE).
c) Einen Verstoß gegen das Unionsrecht sieht der BFH hierin nicht.
aa) Auch unionsrechtlich setzt der Vorsteuerabzug den Besitz einer Rechnung voraus, die alle vorgeschriebenen Rechnungsangaben enthält (Art. 178 Buchst. a MwStSystRL). Zu diesen gehört gemäß Art. 226 Nr. 5 MwStSystRL auch die vollständige Anschrift des Steuerpflichtigen (vgl. EuGH-Urteile Mahagebén und Dávid vom 21.6.2012, C 80/11, C 142/11, EU:C:2012:373, Rz. 43, 44, 52. Pannon Gép vom 15.7.2010, C 368/09, EU:C:2010:441, Rz. 40 ff. und Dankowski vom 22.12.2010, C 438/09, EU:C:2010:818, Rz. 29).
bb) In Bezug auf die Angabe der Anschrift hält der BFH die Angabe eines "Briefkastensitzes" auch unionsrechtlich nicht für ausreichend. Der BFH begründet dies mit der Rechtsprechung des EuGH zum Begriff des Sitzes der wirtschaftlichen Tätigkeit i.S.v. Art. 1 Nr. 1 der 13. RL (EuGH-Urteil Planzer Luxembourg (EU:C:2007:397, Rz. 62). Danach ist eine fiktive Ansiedlung in der Form, wie sie für eine "Briefkastenfirma" oder für eine "Strohfirma" charakteristisch ist, nicht als Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit anzusehen. Zwar sei diese EuGH-Rechtsprechung nicht unmittelbar auf den Begriff der "vollständigen Anschrift" i.S.d. Art. 226 Nr. 5 MwStSystRL übertragbar. Der EuGH habe aber auch entschieden, dass die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Realität ein grundlegendes Kriterium für die Anwendung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems ist (EuGH-Urteil Planzer Luxembourg, EU:C:2007:397, Rz. 43). Ein bloßer "Briefkastensitz" bilde aber die wirtschaftliche Realität gerade nicht ab, sondern verschleiere sie.
3. Nach der Rechtsprechung des BFH kann dem Leistun...