Prof. Dr. Stefan Schneider
Leitsatz
Die Mitversicherung angestellter Klinikärzte in der Betriebshaftpflichtversicherung eines Krankenhauses nach § 102 Abs. 1 VVG ist kein Lohn, weil die Mitversicherung keine Gegenleistung für die Beschäftigung ist.
Normenkette
§ 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 42d EStG, § 102 Abs. 1 VVG, § 30 Nr. 6 HBKG SH
Sachverhalt
Die K-GmbH (K) betrieb ein Krankenhaus und hatte für das ihr aus dem Krankenhausbetrieb erwachsende Haftungsrisiko eine Betriebshaftpflichtversicherung abgeschlossen; nach § 102 Abs. 1 VVG umfasste sie auch die Haftung für Ks medizinisches Fachpersonal einschließlich der angestellten Ärzte. Der Versicherungsschutz für die Ärzte beschränkte sich auf das aus dem Anstellungsverhältnis erwachsende Haftungsrisiko. Beiträge für private, auf angestellte Ärzte persönlich lautende Berufshaftpflichtversicherungen hatte K nicht übernommen. Das FA sah in den von K gezahlten eigenen Versicherungsbeiträgen, soweit sie sich auf die angestellten Ärzte erstreckten, geldwerte Vorteile und erließ einen LSt-Haftungsbescheid. Es berief sich auf die Satzung der Ärztekammer, nach der die Ärzte eine Haftpflichtversicherung abzuschließen hatten. K berief sich dagegen auf das Heilberufekammergesetz, nach dem die Ärzte nur eine Berufshaftpflichtversicherung abschließen müssen, soweit keine Betriebshaftpflichtversicherung besteht. Ks Klage war erfolgreich (Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 25.6.2014, 2 K 78/13, Haufe-Index 7016725, EFG 2014, 1620).
Entscheidung
Der BFH bestätigte das FG und wies die Revision des FA aus den in den Praxis-Hinweisen erläuterten Gründen zurück.
Hinweis
Das Besprechungsurteil wirft die typische Frage nach der Abgrenzung zwischen lohnsteuerpflichtigem Vorteil und nicht steuerbarer Annehmlichkeit/Reflexwirkung auf.
1. Lohneinkünfte setzen Vorteile "für" eine Beschäftigung voraus. In objektivierender Betrachtungsweise stellt der BFH darauf ab, dass die Einnahmen dem Empfänger mit Rücksicht auf das Dienstverhältnis zufließen und sich als Ertrag der nichtselbstständigen Arbeit darstellen müssen, sich also die Arbeitgeberleistung im weitesten Sinne als Gegenleistung erweist. Der nicht steuerbare Bereich ist erreicht, wenn sich der Vorteil nur noch als notwendige Begleiterscheinung betriebsfunktionaler Zielsetzung des Arbeitgebers erweist. Der Lohnsteuersenat spricht insoweit vom ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers (z.B. BFH, Urteil vom 14.11.2013, VI R 36/12, BFH/NV 2014, 417, BFH/PR 2014, 126). Das Besprechungsurteil bestimmt nun diesen nicht steuerbaren Bereich näher: Eine Lohnzuwendung besteht danach "erst recht" nicht, wenn der Arbeitgeber ausschließlich gegenüber Dritten tätig wird, nur ihnen gegenüber eigene Verpflichtungen eingeht und eigene Ansprüche erwirbt, die keinen unmittelbaren Zusammenhang zu seinen Arbeitnehmern und den mit ihnen begründeten Dienstverhältnissen aufweisen. Aus diesen eigenbetrieblichen Betätigungen für die Arbeitnehmer folgende Annehmlichkeiten sind bloße Reflexwirkungen. Insoweit verwendet der BFH die Terminologie des eigenbetrieblichen Interesses: Eine originär nur "eigenbetriebliche Betätigung" des Arbeitgebers, mit der er andere betriebsfunktionale Zielsetzungen verfolgt, also keine Entlohnung seiner Arbeitnehmer, bewirkt keine Vorteile "für" eine Beschäftigung. Ein Beispiel für das "erst recht": wenn diese Reflexwirkung zwingend aus gesetzlichen Regelungen folgt (hier: § 102 VVG) und der Arbeitgeber dem überhaupt nicht ausweichen kann (hier: Verpflichtung zum Abschluss einer Betriebshaftpflichtversicherung).
2. Das FG hatte festgestellt, dass angestellte Ärzte keine Berufshaftpflichtversicherung abschließen müssen; das folgte aus Landesrecht und war für den BFH bindend. Die Einbeziehung der Arbeitnehmer in die Betriebshaftpflichtversicherung nach § 102 Abs. 1 VVG war bloße "Reflexwirkung". Denn Regelungszweck des § 102 Abs. 1 VVG ist, dem Betriebsinhaber möglichst umfassenden Versicherungsschutz unter Einbeziehung der bei ihm beschäftigten Personen zu geben, um so die Haftpflichtrisiken aus der unternehmerischen Tätigkeit weitgehend auf den Versicherer abzuwälzen. Die arbeitsrechtlichen Grundsätze zum innerbetrieblichen Schadensausgleich bestätigen das. Insgesamt wendet somit der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern nichts "für" die Beschäftigung zu.
3. Zur Klarstellung: Wenn der Arbeitgeber eigene Beiträge der Arbeitnehmer zu deren von ihnen selbst abzuschließenden Versicherungen übernimmt, liegt Lohn vor (BFH, Urteil vom 26.7.2007, VI R 64/06, BFH/NV 2007, 1993, BFH/PR 2007, 454).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 19.11.2015 – VI R 47/14