Leitsatz
1. Art. 52 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Art. 43 EG) und Art. 8 EG-Vertrag (jetzt Art. 48 EG) stehen einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegen, wonach die Gewinne einer Zweigniederlassung einer Gesellschaft, die ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat, mit einem höheren Steuersatz belastet werden als die Gewinne einer Tochtergesellschaft einer solchen Gesellschaft, die ihre Gewinne voll an die Muttergesellschaft ausschüttet.
2. Es ist Sache des nationalen Gerichts, den Steuersatz, der auf die Gewinne einer Zweigniederlassung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden anzuwenden ist, nach Maßgabe des Steuersatzes zu ermitteln, der im Fall der Ausschüttung der Gewinne einer Tochtergesellschaft an die Muttergesellschaft insgesamt anzuwenden gewesen wäre.
Normenkette
§ 23 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 KStG 1991 i.d.F. des StandOG 1993, Art. 43, Art. 48 EG
Sachverhalt
Die Klägerin ist S.A. mit Sitz und Geschäftsleitung in Luxemburg. Sie unterhielt u.a. im Jahr 1994 (Streitjahr) in Deutschland eine Zweigniederlassung.
Das FA veranlagte die Klägerin entsprechend der von ihr eingereichten Steuererklärung als beschränkt steuerpflichtige Körperschaft mit ihrem durch die Zweigniederlassung erzielten Einkommen für das Streitjahr zur KSt und setzte die Steuer auf 42 % des zu versteuernden Einkommens fest.
Einspruch und Klage, mit denen die Klägerin geltend machte, dieser Steuersatz sei diskriminierend und verletze ihr Recht auf Niederlassungsfreiheit gem. Art. 52 EGV (jetzt Art. 43 EG) i.V.m. Art. 58 EGV (jetzt Art. 48 EG), waren erfolglos (vgl. EFG 2001, 651).
Entscheidung
Der BFH hatte die Sache dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt (Beschluss vom 1.4.2003, I R 31/01, BFH-PR 2003, 348). Der EuGH sieht in den unterschiedlich hohen Steuersätzen für Tochtergesellschaften und Niederlassungen einen Diskriminierungsverstoß.
Hinweis
1. Im zwischenzeitlich abgeschafften KSt-Anrechnungsverfahren unterfiel der Gewinn, den eine EG-ausländische Kapitalgesellschaft mit ihrer inländischen Betriebsstätte erzielte, einem KSt-Satz von 42 % (vgl. § 23 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 und § 2 Nr. 1 KStG a.F.). Betrieb die EG-ausländische Gesellschaft ihre Geschäfte im Inland hingegen nicht in Gestalt einer Betriebsstätte, sondern einer eigenständigen, unbeschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaft, betrug der Steuersatz im Fall der Vollausschüttung (bis zum 30.6.1996) max. 33,5 %, nämlich 30 % des Gewinns vor Abzug der KSt (§ 27 Abs. 1 KStG a.F.) zzgl. 5 % an KapESt auf den Ausschüttungsbetrag (= 70/100 des Gewinns vor Abzug der KSt von 30 %; vgl. § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 44 Abs. 1 Satz 1, § 44d Abs. 1 EStG 1994 i.V.m. § 49 Abs. 1, § 50 Abs. 1 Nr. 2 KStG a.F.).
Nach dem 30.6.1996 wurde die KapESt auf Antrag im Ausschüttungsfall nicht mehr erhoben (§ 44d Abs. 1 Satz 3 EStG 1994 i.V.m. § 49 Abs. 1 KStG a.F.). Im Thesaurierungsfall betrug die KSt so oder so 45 % (§ 23 Abs. 1 KStG a.F.), konnte bei Ausschüttung bis zum 30.6.1996 jedoch gleichermaßen gemindert werden.
2. Damit wurde die Betriebsstätte gegenüber der Tochtergesellschaft im Grundsatz steuerlich benachteiligt. Denn die Gewinnermittlungsregeln stellen sich bei beiden letztlich gleich dar. Und der Steuersatz-Nachteil der Tochtergesellschaft im Thesaurierungsfall entpuppt sich angesichts des "Auswegs", zu günstigeren steuerlichen Bedingungen ausschütten zu können, als ein scheinbarer.
3. Der BFH hatte gegenüber der unterschiedlichen Behandlung denn auch beträchtliche gemeinschaftsrechtliche Bedenken und die Sache deswegen dem EuGH zur Vorabentscheidung gem. Art. 234 Abs. 3 EG vorgelegt: Beschluss vom 1.4.2003, I R 31/01, BFH-PR 2003, 348.
Wie erwartet, wurde der Stab über die angeführten Regelungen gebrochen: Der EuGH sieht einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit, die sich nicht rechtfertigen lasse.
4. Anders gewendet: (Selbstständige) Tochtergesellschaften und (unselbstständige) Betriebsstätten sind bezogen auf den Steuersatz gleich zu behandeln.
"Übersetzt" man dieses Gleichbehandlungsgebot auf andere Fragen, wie etwa die derzeit im Fokus stehende Frage nach dem Verlustabzug "über die Grenze", dann könnte (und sollte) das bedeuten, dass Auslandsbetriebsstätten auch insoweit ihre Verluste im Stammhaus nur dann "mobilisieren" können, wenn sie sich im Ausland (= Quellenstaat) steuerlich partout nicht verwerten lassen (qua Verlustrücktrag, -vortrag oder Zession). Es spricht viel dafür, dass auch in diesem Punkt all das gilt, was der EuGH erst kürzlich für Auslandstochtergesellschaften judiziert hat, nämlich in der Rechtssache C-446/03 "Marks & Spencer" im Urteil vom 13.12.2005 (BFH-PR 2006, 112). Hoffnungen, dass es sich bei der Betriebsstätte anders verhielte, erscheinen auf den ersten Blick schwerlich begründbar.
5. Der BFH wollte vom EuGH allerdings auch noch wissen, wie hoch denn nun der "europarechtskonforme" Betriebsstättensteuersatz sein dürfe. Er hatte dazu zu bedenken gegeben, dass der Steuersatz auf die Betriebsstättengewinne v...