Leitsatz
1. § 8 Abs. 4 KStG 1996 n.F. definiert die "wirtschaftliche Identität" einer Körperschaft in S. 1 nicht, sondern bestimmt in S. 2 lediglich beispielhaft, wann eine wirtschaftliche Identität nicht mehr gegeben ist. S. 2 des § 8 Abs. 4 KStG 1996 n.F. als Regelbeispiel setzt damit aber zugleich mittelbar einen Maßstab für die unter S. 1 zu fassenden Sachverhalte. Sie müssen Voraussetzungen erfüllen, die mit den in S. 2 genannten wirtschaftlich vergleichbar sind (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsurteile vom 20.08.2003, I R 61/01, BFH/NV 2003, 1672, BFH/PR 2004, 19 und I R 81/02, BFH/NV 2004, 295, BFH/PR 2004, 62; vom 05.06.2007, I R 9/06, BFH/NV 2008, 166, BFH/PR 2008, 18).
2. Wenn im Zusammenhang mit der die Hälfte des gezeichneten Kapitals übersteigenden Übertragung von Geschäftsanteilen und einer Änderung des Unternehmenszwecks von einer aktiv tätigen zu einer vermögensverwaltenden Gesellschaft im Rahmen einer Betriebsaufspaltung (Branchenwechsel) kein neues Betriebsvermögen zugeführt worden ist, liegt eine wirtschaftlich mit dem Regelbeispiel vergleichbare Situation nicht vor.
Normenkette
§ 8 Abs. 4 KStG 1996 n.F.
Sachverhalt
Unternehmensgegenstand der klagenden GmbH war die Sonderabfallentsorgung für Krankenhäuser, Kliniken und gewerbliche Betriebe. Die Klägerin nutzte dafür ein gesondert genehmigtes Abfallzwischenlager. Der Grund und Boden war in Erbpacht angepachtet. Die darauf errichteten Gebäude zur Abfallbehandlung und die dazu erforderlichen Betriebsvorrichtungen standen im Eigentum der GmbH. Ihre Geschäftsanteile wurden zum 01.01.1995 insgesamt zu 50 %, zum 01.01.1997 zu weiteren 25 % sowie jeweils zum 01.01.1998 nochmals zu 25 % bzw. 50 % veräußert.
Mit Wirkung zum 31.12.1998 übertrug die GmbH ihr operatives Geschäft auf eine andere GmbH, an die sie auch das Industriegrundstück verpachtete. Weiteres unbewegliches Anlagevermögen behielt sie zurück. Die immateriellen Wirtschaftsgüter sowie Vorräte, Forderungen und Verbindlichkeiten veräußerte sie an die Pächterin. Diese übernahm auch die Arbeitnehmer, die wesentlichen vertraglichen Verpflichtungen, den Kunden- und Lieferantenstamm sowie die erforderlichen Genehmigungen. Das bewegliche Anlagevermögen veräußerte die GmbH an eine dritte Gesellschaft. Unternehmensgegenstand der GmbH ist seitdem die Verwaltung und Verpachtung des Grundbesitzes und der Anlagen. Neues Betriebsvermögen ist ihr im Streitjahr nicht zugeführt worden.
Das FA ließ den zum 31.12.1997 festgestellten verbleibenden Verlustabzug zur KSt wegen Verlusts der wirtschaftlichen Identität nicht zum Abzug zu. Die dagegen gerichtete Klage war erfolgreich (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14.11.2007, 12 K 8379/03 B, Haufe-Index 1874796, EFG 2008, 433).
Entscheidung
Der BFH bestätigte das FG-Urteil. Er sah keinen Sachverhalt, der mit dem Grundtatbestand des § 8 Abs. 4 S. 1 KStG vergleichbar sei. Folglich habe die GmbH ihre wirtschaftliche Identität infolge des Übergangs zur Vermögensverwaltung auch nicht verloren.
Hinweis
In dieser derzeit jüngsten Entscheidung des BFH zu § 8 Abs. 4 KStG geht es einmal nicht um die Frage der Zuführung neuen Betriebsvermögens, sondern um das Gegenteil dazu:
1. Das vorhandene Betriebsvermögen wurde mehr oder weniger vollständig veräußert und das Unternehmen gab seine bisherige aktive Tätigkeit zugunsten einer rein vermögensverwaltenden Tätigkeit auf. Das FA wollte in einem derartigen (bloßen) Tätigkeitsübergang einen Sachverhalt erkennen, der dem Regelbeispiel des § 8 Abs. 4 S. 2 KStG ähnlich sei. Folglich sei der Sachverhalt dem Grundfall des § 8 Abs. 4 S. 1 KStG zu unterwerfen und deshalb gehe die wirtschaftliche Identität verloren.
2. Der BFH sah das anders. Die bloße Tätigkeitsabschmelzung mit Betriebsvermögensabbau, aber ohne (über die Erlöse und Forderungen aus jenem Abbau hinausgehende) Betriebsvermögenszuführung sei jenem Regelbeispiel nicht vergleichbar. Dabei misst er wieder einmal dem Sach- und Zeitzusammenhang zwischen Anteilsübertragung einerseits und Betriebsvermögenszuführung andererseits eine besondere Bedeutung bei. Zu einer steuerschädlichen Situation gelangt man nur, wenn in einem (widerlegbaren) Vermutungszeitrahmen von etwa einem Jahr die Übertragung der Geschäftsanteile nicht mit einer Zuführung neuen Betriebsvermögens einhergeht. Der Tätigkeitswechsel allein und als solcher bewirkt dann nichts.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 28.05.2008, I R 87/07