Dipl.-Finw. (FH) Helmut Lehr
Leitsatz
Begleicht ein Steuerpflichtiger Rechnungen für nicht erbrachte Leistungen, kann er sich nicht auf Billigkeitsmaßnahmen entsprechend der EuGH-Entscheidung Reemtsma berufen.
Sachverhalt
Eine Bau-GmbH (Klägerin) arbeitete mit der Firma HC (Subeinzelunternehmer) zusammen. Aus den Rechnungen der HC machte sie den Vorsteuerabzug geltend. Später stellte das Finanzamt fest, dass der angebliche Angestellte der Firma HC tatsächlich bei der Klägerin angestellt war und für diese folglich nicht-unternehmerisch tätig wurde. Nach umfangreichen rechtlichen Verfahren änderte HC Jahre später die Rechnungen mit gesondert ausgewiesener Umsatzsteuer und machte gegenüber dem Finanzamt Berichtigungsansprüche nach § 14c Abs. 2 UStG geltend. Diese Ansprüche wurden an die Klägerin abgetreten (rund 98.000 Euro). Weil die Klägerin aber einen Betrag von rund 47.000 Euro auf Kosten des Zivilverfahrens und zivilrechtliche Erstattungszinsen verbucht hatte, machte sie weitere Forderungen gegen die Inhaberin des Unternehmens HC geltend und begehrte letztlich die Erstattung der Beträge auf der Grundlage der Reemtsma-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. Urteil v. 15.3.2007, C-35/05) von ihrem Betriebsstätten-Finanzamt.
Hinweis: In dieser Entscheidung hatte der Europäischen Gerichtshof darauf hingewiesen, dass bei irrtümlich in Rechnung gestellter Umsatzsteuer, die der Rechnungsempfänger an den Rechnungsaussteller gezahlt hat, er diese aber nicht mehr zurückfordern kann, ggf. ein Anspruch gegen den Fiskus in Betracht kommt.
Entscheidung
Die Klage wurde abgewiesen. Danach hat ein Steuerpflichtiger, der auf Rechnungen mit Vorsteuerausweis die Umsatzsteuer an den Rechnungsaussteller zahlt, obwohl die abgerechneten Leistungen nicht vom Rechnungsaussteller, sondern von einem Dritten erbracht werden, und dem es nicht gelingt, die gezahlte Umsatzsteuer vom Rechnungsaussteller zurückzuerlangen, kein Anspruch auf Erstattung der Umsatzsteuer von seinem Betriebsstätten-Finanzamt.
Das Finanzamt hat seine Ablehnung in erster Linie darauf gestützt, dass im Streitfall seitens der Firma HC keine Leistung erbracht worden sei, während im Fall des Urteils "Reemtsma" tatsächlich Leistungen seitens der als Leistungserbringerin auftretenden Unternehmerin erbracht worden seien, allerdings an einem anderen als dem ursprünglich angenommenen Leistungsort. Für die Auffassung des Finanzamts spricht, dass ein Leistungsempfänger, dem keine Leistungen erbracht werden (oder jedenfalls nicht die Leistungen, über die abgerechnet wird), im Regelfall keinen Anlass hat, die ihm in Rechnung gestellte Umsatzsteuer zu begleichen. Er ist daher weniger schutzwürdig als andere Leistungsempfänger, bei denen der Vorsteuerabzug (ohne die Gewährung von Billigkeitsmaßnahmen) verloren geht, weil die umsatzsteuerliche Würdigung hinsichtlich des Leistungsorts, der Steuerfreiheit oder der Steuerbarkeit am Ende nicht den ursprünglichen Erwartungen entspricht. Da im Streitfall die Leistungen nicht von der Rechnungsausstellerin HC erbracht worden sind, lag es auf der Hand, dass hierfür ein Vorsteuerabzug nicht möglich ist. Außerdem kommt ein Vorsteuerabzug aus Scheinrechnungen im Billigkeitswege jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn der Rechnungsempfänger die Zahlungsunfähigkeit des Rechnungsausstellers nicht ausreichend belegt hat.
Hinweis
Gegen die Entscheidung des Finanzgerichts wurde Revision beim Bundesfinanzhof eingelegt (Az beim BFH V R 50/16). Die Rechtsfrage lautet konkret wie folgt: Ist die Vorsteuer aus Rechnungen im Billigkeitswege zum Abzug zuzulassen und sind die Erstattungsbeträge zu verzinsen, wenn die Uneinbringlichkeit von Forderungen nicht feststeht, obwohl wegen der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens die titulierten Ansprüche faktisch nicht durchzusetzen sind?
Zu beachten ist, dass der Bundesfinanzhof bereits in einem obiter dictum Zweifel daran hat anklingen lassen, ob die für eine Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO sprechenden Gesichtspunkte gelten, wenn den Rechnungen, auf die Umsatzsteuer an den Rechnungsaussteller gezahlt wurde, keine Leistungen zugrunde lagen (vgl. Urteil v. 30.6.2015, VII R 42/14, Rn. 26). Nach diesem Urteil ist der EuGH-Entscheidung Reemtsma kein unionsrechtliches Gebot zu entnehmen, einen Anspruch des Leistungsempfängers aus § 37 Abs. 2 AO auf Erstattung zu Unrecht vom Leistenden in Rechnung gestellter Umsatzsteuer gegen den Fiskus anzuerkennen, wenn eine Erstattung vom Leistenden wegen dessen Insolvenz nicht mehr (vollständig) erreicht werden kann. Zu der hier besprochenen Thematik ist unter dem Aktenzeichen XI R 36/14 ein weiteres Revisionsverfahren beim Bundesfinanzhof anhängig.
Link zur Entscheidung
FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 17.08.2016, 7 K 7246/14