Leitsatz
Für den Erlass eines Abrechnungsbescheids ist die Finanzbehörde zuständig, die den Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis, um dessen Verwirklichung gestritten wird, festgesetzt hat. Nachträgliche Änderungen der die örtliche Zuständigkeit für die Besteuerung begründenden Umstände – wie z.B. ein Wohnsitzwechsel des Steuerpflichtigen – führen nicht zu einem Wechsel jener Zuständigkeit.
Normenkette
§ 19 Abs. 1, § 26, § 218 Abs. 2 AO, § 82 InsO
Sachverhalt
Ein Steuerpflichtiger hatte Erstattungsansprüche aus seinen Veranlagungen 2003 und 2004. Diese hatte das Veranlagungs-FA durch Überweisung auf das gemeinsame Ehegattenkonto desselben zu erfüllen versucht, obwohl über dessen Vermögen inzwischen ein Insolvenzverfahren eröffnet worden war, von dem das FA aber nichts wusste. Der Insolvenzverwalter des inzwischen in ein anderes Bundesland verzogenen Steuerpflichtigen begehrte von seinem jetzigen FA erneut die Erstattung. Diese hat dieses FA abgelehnt und darüber einen Abrechnungsbescheid erlassen – es meint, es sei bereits schuldbefreiend erstattet worden.
Entscheidung
Der BFH hat die Klage abgewiesen. Das beklagte – neu zuständig gewordene – FA dürfe über die von dem früher zuständigen FA festgesetzten Ansprüche nicht abrechnen. Wenn es einen gegen sich gerichteten Erstattungsanspruch verneint habe – und so sei der Abrechnungsbescheid zu deuten –, sei das deshalb im Ergebnis zutreffend. Vorinstanz: Niedersächsisches FG, Urteil vom 29.09.2010, 2 K 222/08, Haufe-Index 2621226, EFG 2011,777.
Hinweis
Über Erstattungsansprüche ist ggf. in einem Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 AO von "der Finanzbehörde" zu entscheiden. Welche Finanzbehörde das ist, sagt die AO nicht ausdrücklich – jedenfalls nicht klar und eindeutig. Sind also insoweit die §§ 19 und 26 AO anzuwenden, sodass bei einem nachträglichen Wohnsitzwechsel nicht nur die Zuständigkeit für die Besteuerung, sondern auch für die Abrechnung über bereits festgesetzte Steuern auf das neue Wohnsitz-FA übergeht?
Dafür scheint zu sprechen, dass jene Vorschriften im Ersten Teil der AO stehen und ganz allgemein mit der Überschrift "Zuständigkeit der Finanzbehörden" versehen sind. Andererseits spricht § 19 Abs. 1 S. 1 AO von der Zuständigkeit "für die Besteuerung", während Abrechnungsbescheide im Erhebungsverfahren ergehen. Auch § 367 Abs. 1 S. 2 AO scheint einen automatischen Zuständigkeitswechsel für alle mit der Besteuerung zusammenhängenden Verfahren nicht zu unterstellen.
Vor allem aber würde ein Zuständigkeitswechsel für das Abrechnungsverfahren zu dem merkwürdigen Ergebnis führen, dass das FA eines Bundeslands über Zahlungspflichten eines anderen Bundeslands entscheiden müsste. Deshalb hat der BFH die Zuständigkeit für die Abrechnung bei dem Veranlagungs-FA belassen.
Im Besprechungsfall hatte das FA einen Erstattungsanspruch freilich nicht mangels Entscheidungszuständigkeit verneint, sondern im Gegenteil über den Erstattungsanspruch – allerdings im verneinenden Sinn – entscheiden wollen. Der BFH hat das sinngemäß als eine bloße Begründungserwägung behandelt und für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit entscheidend darauf abgestellt, dass das FA keinen ihm gegenüber bestehenden Erstattungsanspruch festgestellt hatte (denn es wäre für eine Erstattung nicht zuständig).
Die insolvenzrechtliche Frage, die der Streit aufwirft, musste der BFH folglich nicht entscheiden. Insofern ist auf § 82 InsO zu verweisen. In diesem Zusammenhang stellt sich vor allem die Frage, ob entsprechend den zu § 173 Abs. 1 AO entwickelten Grundsätzen fremdes Wissen und Wissenkönnen dem FA zuzurechnen ist.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 12.07.2011 – VII R 69/10