Leitsatz
1. Die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 14 AO setzt voraus, dass der Erstattungsanspruch vor Ablauf der Festsetzungsfrist entstanden ist (Anschluss an BFH-Urteile vom 04.08.2020 – VIII R 39/18, BFHE 270, 81, sowie vom 25.11.2020 – II R 3/18, BFHE 272, 1).
2. In den sog. Bauträgerfällen führt ein Erstattungsanspruch des Leistungsempfängers (Bauträger) nicht zu einer Ablaufhemmung für die Steuerfestsetzung beim Bauleistenden, wenn im Zeitpunkt der Festsetzung des Erstattungsanspruchs bereits Festsetzungsverjährung beim Bauleistenden eingetreten ist.
Normenkette
§ 37 Abs. 2, § 169 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 171 Abs. 10 und 14, § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO, § 13b UStG a.F., § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG
Sachverhalt
Die Klägerin, eine Tischlerei, erbrachte im Jahr 2009 Bauleistungen (Errichtung einer Treppenanlage) an einen Bauträger. Beide gingen davon aus, dass der Leistungsempfänger Steuerschuldner nach § 13b UStG sei. Der Bauträger machte mit Schreiben vom 30.12.2014 geltend, dass er nicht Steuerschuldner sei.
Daher forderte das FA die Klägerin am 15.7.2015 auf, eine berichtigte USt-Erklärung 2009 unter Berücksichtigung des Umsatzes an den Bauträger einzureichen. Dem kam die Klägerin nicht nach, da sie davon ausging, dass bereits Festsetzungsverjährung eingetreten sei und die USt-Festsetzung 2009 daher vom FA nicht mehr geändert werden könne. Mit dem gemäß § 164 Abs. 2 AO geänderten USt-Bescheid 2009 vom 26.3.2018 erhöhte das FA unter Hinweis auf eine Hemmung der Verjährung nach § 171 Abs. 14 AO die Umsätze für die Bauleistung der Klägerin an den Bauträger. Der Einspruch der Klägerin wurde mit der Entscheidung zurückgewiesen. Das FG gab der Klage statt (Niedersächsisches FG, Urteil vom 19.11.2019, 5 K 193/18, Haufe-Index 13704757, EFG 2020, 428).
Entscheidung
Der BFH bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz, da bereits mit Ablauf des 31.12.2014 die Festsetzungsverjährung eingetreten sei, während aufgrund des Erstattungsverlangens des Bauträger vom 30.12.2014 davon auszugehen sei, dass ein die Erstattung bejahender USt-Änderungsbescheid frühestens im Jahr 2015 ergangen sein konnte.
Auf dieser Grundlage konnte der BFH offenlassen, welche weiteren Voraussetzungen an die Hemmung nach § 171 Abs. 4 AO (s. oben 2. b) zu stellen sind. Ergänzend wies der BFH darauf hin, dass § 27 Abs. 19 UStG keine Ablaufhemmung für die USt-Festsetzung gegenüber dem leistenden Unternehmer beinhalte und dass es auch an einem rückwirkenden Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO fehle.
Hinweis
1. Im Nachgang zum Bauträger-Urteil des BFH vom 22.8.2013, V R 37/1020, BStBl II 2014, 128, stellen sich immer noch Fragen zur unzutreffenden Bestimmung des Leistungsempfängers bei der Erbringung von Bauleistungen. Der BFH hatte sich hier gegen die Verwaltungsauffassung gewendet, die in dem nicht zum Vorsteuerabzug berechtigten Bauträger gemäß § 13b UStG den Steuerschuldner für die von ihm bezogenen Bauleistungen sah. Dies führte zur Schaffung der besonderen Korrekturregelungen in § 27 Abs. 19 UStG. Diese ermöglicht in der Auslegung des BFH (Urteil vom 23.2.2017, V R 16, 24/16, BStBl II 2017, 760) eine nachträgliche Besteuerung beim leistenden Unternehmer, wenn ihm ein abtretbarer Anspruch auf Zahlung der gesetzlich entstandenen Umsatzsteuer gegen den Leistungsempfänger zusteht.
2. Auf dieser Grundlage war nunmehr zu entscheiden, unter welchen Voraussetzungen der Ablauf der Festsetzungsfrist gegen den leistenden Unternehmer gemäß § 171 Abs. 14 AO gehemmt ist.
a) Danach endet die Festsetzungsfrist für den Steueranspruch (gegen den leistenden Unternehmer) nicht, soweit ein damit zusammenhängender Erstattungsanspruch (des Bauträgers, der zu Unrecht als Leistungsempfänger versteuert hat) nach § 37 Abs. 2 AO noch nicht verjährt ist.
b) Dabei ist noch nicht höchstrichterlich entschieden, ob für eine Hemmung der Verjährung nach § 171 Abs. 14 AO bereits ein "sachlicher Zusammenhang" genügt oder ob darüber hinaus eine personelle Identität zwischen dem Steuersubjekt, dem der Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO zusteht, und demjenigen, gegen den sich der nach § 171 Abs. 14 AO festzusetzende Steueranspruch richtet, erforderlich ist.
c) Unabhängig von der Frage des sachlichen Zusammenhangs muss der Erstattungsanspruch bereits vor Ablauf der Festsetzungsfrist entstanden sein. Unklar war insoweit bislang, ob es hierfür auf eine Betrachtung nach der sog. materiellen oder der sog. formellen Rechtsgrundtheorie ankommt.
3. Nach dem Besprechungsurteil ist der formellen Rechtsgrundtheorie der Vorzug zu geben. Maßgeblich ist somit, dass ein den Erstattungsanspruch bejahender Steuerbescheid vorliegt, sodass das materiell-rechtliche Entstehen des Erstattungsanspruchs bereits mit der Zahlung der Steuer durch den Leistungsempfänger für die Ablaufhemmung unerheblich ist.
Somit kommt es darauf an, dass ein den Erstattungsanspruch des Bauträgers bejahender Steuerbescheid vor dem Eintritt der Festsetzungsverjährung beim leistenden Unternehmer ergeht.
Link zur Entscheidung
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