Leitsatz
Die Ermessensentscheidung über die Abzweigung von Kindergeld nach § 74 Abs. 1 EStG ist rechtswidrig, wenn die Familienkasse (FK) einen Teil des Kindergeldes an den Grundsicherungs-leistungsträger abzweigt, obwohl der Kindergeldberechtigte, das behinderte Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat, über eigene Erwerbseinkünfte verfügt und nicht von ALG II lebt.
Sachverhalt
Die Klägerin ist die Mutter des im Jahr 1980 geborenen schwerbehinderten (GdB 80 Mz. G, B) Sohnes, für den sie laufend Kindergeld bezog. Der Sohn wohnt im Haushalt der Klägerin, arbeitet in den Werkstätten der Lebenshilfe, und bezog im Zeitraum März bis Juli 2011 ein Arbeitseinkommen von ca. 110 EUR mtl. Ferner erhielt er Pflegegeld der Pflegestufe I, dieses betrug 205 EUR mtl. Zusätzlich erbrachte das Amt für Soziale Angelegenheiten (Beigeladener) Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung nach §§ 41 ff SGB XII. Die monatliche Grundsicherungsleistung betrug ca. 410 EUR. Die Klägerin erzielte in den Monaten März bis Oktober 2011 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Auf Antrag des Beigeladenen hat die FK mtl. 87 EUR nach § 74 Abs. 1 EStG an diesen "abgezweigt". Mit ihrer Klage mach die Klägerin geltend, dass eine teilweise Abzweigung des Kindergeldes an den Beigeladenen rechtswidrig sei, da sie monatliche Aufwendungen für den Sohn in Höhe von 890 EUR erbracht habe.
Entscheidung
Nach Auffassung des FG ist die Klage begründet, da es bei der Aufnahme eines Kindes in den Haushalt des Kindergeldberechtigten glaubhaft ist, dass Aufwendungen entstehen, die über das monatliche Kindergeld hinausgehen. Zu berücksichtigen sind die Ausgaben zur Deckung des gesamten Bedarfs, also Wohnen, Essen, Kleidung, Freizeit, Kultur und Erholung und zwar auch dann, wenn sie über das Niveau der Grundsicherung hinausgehen. Es entspricht einer sachgerechten Ermessensausübung, von einem Einzelnachweis der für das im Haushalt aufgenommene Kind getätigten Aufwendungen durch die Eltern abzusehen und eine Vermutung dahingehend aufzustellen, dass monatliche Aufwendungen getätigt wurden, die die Höhe des Kindergeldes übersteigen. Die Eltern sind nicht verpflichtet, genaue Aufzeichnungen darüber zu führen, welche Ausgaben sie für ihr Kind getätigt haben.
Hinweis
Das Urteil des FG ist rechtskräftig und auch nicht zu beanstanden, zumal die FK sich nicht an die Regelung des Absch. 74.1.2 Absatz 2 S. 2 und 3 DA-FamEStG gehalten, und das Ermessen nicht sachgerecht ausgeübt hat. Wenn in vergleichbaren Fällen die Abzweigung des Kindergeldes durch die FK vorgenommen wird, sollten Betroffene sich unter Hinweis auf die o.a. Fundstelle in der DAF am EStG dagegen mit einem Einspruch wehren.
Link zur Entscheidung
FG München, Urteil vom 02.07.2012, 7 K 2320/11