Leitsatz
1. Ein Zerlegungsbescheid für Zwecke der GewSt-Vorauszahlung steht gem. § 164 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 184 Abs. 1 Satz 3, § 185 AO kraft Gesetzes unter Vorbehalt der Nachprüfung.
2. Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass der Gewerbesteuerpflichtige durch einen möglichen gesetzlichen Verstoß gegen die verfassungsrechtlich gewährleistete kommunale Selbstverwaltung und das gemeindliche Hebesatzrecht nicht beschwert ist. Ihm fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, um die Rechte der betroffenen Gemeinde durchzusetzen.
3. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel daran, dass der Gesetzgeber berechtigt ist, im Lauf des Erhebungszeitraums bis zum Entstehen des Steueranspruchs die gesetzlichen Grundlagen zu verändern. Der Gesetzgeber konnte deshalb rückwirkend für das Kalenderjahr 2003 den Zerlegungsmaßstab des § 28 GewStG 2002 zulasten solcher Gemeinden verändern, deren Hebesatz 200 % unterschreitet.
Normenkette
§ 16 GewStG 2002 i.d.F. des StVergAbG vom 16.5.2003 (BGBl I 2003, 660, BStBl I 2003, 321) , § 18 GewStG 2002 i.d.F. des StVergAbG vom 16.5.2003 (BGBl I 2003, 660, BStBl I 2003, 321) , § 19 Abs. 3 Satz 3 GewStG 2002 i.d.F. des StVergAbG vom 16.5.2003 (BGBl I 2003, 660, BStBl I 2003, 321) , § 28 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 GewStG 2002 i.d.F. des StVergAbG vom 16.5.2003 (BGBl I 2003, 660, BStBl I 2003, 321) , § 36 Abs. 1 GewStG 2002 i.d.F. des StVergAbG vom 16.5.2003 (BGBl I 2003, 660, BStBl I 2003, 321) , § 164 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 AO , § 184 Abs. 1 Satz 3 AO , § 185 AO , Art. 20 Abs. 3 GG , Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG , Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG
Sachverhalt
Die Antragstellerin, eine GmbH, hat ihren Sitz in der Gemeinde E. Eine weitere Betriebsstätte befindet sich in N, einer Gemeinde, die keine GewSt-Hebesätze festgesetzt hat und die keine GewSt erhebt.
Das FA erließ einen Bescheid über die Zerlegung des GewSt-Messbetrags 2003 für Zwecke der Vorauszahlungen. In diesem Bescheid wurde auf Grundlage der Summe der Arbeitslöhne der Antragstellerin der GewSt-Messbetrag auf die beiden Gemeinden aufgeteilt. Auf die Gemeinde E entfiel ein Zerlegungsanteil von 2.450 Euro, auf die Gemeinde N ein Anteil von 46.550 Euro.
Anschließend erließ das FA einen geänderten Bescheid über die Zerlegung des GewSt-Messbetrags 2003 für Zwecke der Vorauszahlungen, durch den der Gemeinde E der GewSt-Messbetrag vollen Umfangs zugeteilt wurde. Grund hierfür war die Änderung des § 28 Abs. 2 GewStG 2002 durch das StVergAbG vom 16.5.2003 (BGBl I 2003, 660, BStBl I 2003, 321). Gem. § 28 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 GewStG 2002 in der vorgenannten Fassung sind Gemeinden, in denen der Hebesatz 200 % unterschreitet, bei der Zerlegung nicht zu berücksichtigen.
Über den dagegen gerichteten Einspruch ist noch nicht entschieden. Den zugleich gestellten Antrag auf AdV lehnten sowohl das FA als auch das (Schleswig-Holsteinische) ab.
Entscheidung
Die dagegen gerichtete Beschwerde der Antragstellerin blieb aus den in den Praxis-Hinweisen erwähnten Gründen vor dem BFH ebenfalls erfolglos.
Hinweis
1. Es ging im Beschlussfall um ein bundesweit, namentlich im Osten Deutschlands vorzufindendes Phänomen, das sich als norddeutsches Spezifikum unter dem Stichwort "Norderfriedrichskoog" verbirgt. Das ist eine kleine schleswig-holsteinische Gemeinde, die eines Tages entdeckte, dass sich mit weniger mehr erreichen lässt. Konkret: Mit einem GewSt-Hebesatz von 0 % gelang es dem friesischen Clochemerle, nationales "Steuerdumping" gegenüber anderen Städten und Gemeinden zu betreiben und etliche Unternehmen mit einer (Schein-?)Betriebsstätte in die Provinz zu locken. Man hört, dass, was den Schilderwald residierender Firmen anbelangt, in jenem Norderfriedrichskoog jeder Kuhstall Ähnlichkeit mit Geschäftshäusern in der Vaduzer Innenstadt hat.
2. Wie dem auch sei: Der Gesetzgeber hat hierauf bekanntlich reagiert.
- Er hat zwischenzeitlich – vom Erhebungszeitraum 2004 an – in § 16 Abs. 4 Satz 2 GewStG den Kommunen einen Mindesthebesatz von 200 % vorgeschrieben.
- (Nur) im Erhebungszeitraum 2003 ist das Gesetz allerdings noch einen anderen, sozusagen indirekten Weg gegangen: Gemeinden mit Hebesätzen unter 200 % wurden nicht an der GewSt-Zerlegung beteiligt, § 28 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 GewStG a.F. Außerdem sah das Gesetz noch bestimmte "Strafmaßnahmen" vor, die sich gegen den Steuerpflichtigen richteten, vgl. § 8a, § 9 Nr. 2 letzter Halbsatz GewStG a.F., § 35 Abs. 1 Sätze 2 und 3 EStG a.F.
3. Im Beschlussfall ging es nur um den Zeitraum 2003. Dazu hat der BFH geklärt:
- Gegen die unter 2. aufgezeigten Neuregelungen wird eingewandt, sie beeinträchtigten das verfassungsrechtlich geschützte kommunale Hebesatzrecht. Das mag von der betreffenden Kommune auch vorgebracht werden. Ein GewSt-Schuldner hat jedoch keine Möglichkeit, jene verfassungsrechtlichen Einwände anstelle der Gemeinde geltend zu machen. Denn diese Verfassungsrechte sind nicht drittschützend und nicht übertragbar.
- Der GewSt-Schuldner kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, er werde durch die Nichteinbeziehung der GewSt-Oase in das gewerbesteuer...