Leitsatz
Neue Tatsachen im Sinne der Änderungsbefugnis nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO liegt nicht vor, wenn dem Finanzamt ein Sachverhalt bereits in der Steuererklärung offenbart worden ist und wenn dieser Sachverhalt regelmäßig eine schwierige rechtliche Subsumtion erfordert. Dies ist jedenfalls bei der Angabe einer ermäßigt besteuerten Arbeitnehmerabfindung der Fall. Das Finanzamt trifft hier eine Ermittlungspflicht, so dass es die zugrunde liegende Vereinbarung anfordern muss. Tut sie dies nicht, kann sie einen bestandskräftigen Steuerbescheid später nicht mehr zuungunsten des Steuerpflichtigen ändern.
Sachverhalt
Der Kläger war Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH und verzichtete anlässlich der Veräußerung von 80% seiner Geschäftsanteile und der Auflösung seines Geschäftsführervertrages auf ihm zustehende Versorgungsansprüche. In der Steuererklärung wurde unter Anlage N ein Abfindungsbetrag in Höhe von 152% der jährlichen Bezüge als mit dem ermäßigten Steuersatz gem. § 34 Abs. 2 EStG zu besteuernde Entschädigung angegeben. Nach Bestandskraft des Einkommensteuerbescheides erhielt das Finanzamt Kenntnis von den zugrunde liegenden vertraglichen Vereinbarungen und änderte darauf den Steuerbescheid mit der Begründung, dass nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO neue Tatsachen vorlägen.
Entscheidung
Das Urteil spricht mehrere Problemkreise an. Zunächst einmal stellt sich aus Sicht des Steuerpflichtigen die Frage, ob er durch die bloße Angabe des angeblich ermäßigt zu besteuernden Abfindungsbetrages in der Anlage N seinen Mitwirkungspflichten nachgekommen ist. Dies ist der Fall, weil es keine allgemeine steuerliche Pflicht gibt, unaufgefordert zivilrechtliche Vereinbarungen mit Steuerauswirkung vorzulegen. Dazu sind Steuerpflichtige nur verpflichtet, wenn die Behörde dies im Rahmen Ihrer Amtsermittlungspflicht verlangt.
Eng damit zusammen hängt die in § 150 Abs. 4 AO verankerte Wahrheitspflicht der Steuerpflichtigen (FG Köln, Urteil v. 14.2.2001, 14 K 5161/00, EFG 2001, 1016 m.w.M.). Hier hat das FG entschieden, dass angesichts des komplizierten Sachverhaltes eine vertretbare Subsumtion vorliegt, da in einem ähnlich gelagerten Fall hinsichtlich der Auflösung einer Pensionszusage eine Zwangslage im Zusammenhang mit einem Verkauf von GmbH-Anteilen angenommen wurde.
In einem zweiten Schritt hat das Gericht geprüft, ob das Finanzamt seine Ermittlungspflicht verletzt hat. Liegt nach den Angaben des Steuerpflichtigen ein rechtlich komplizierter Sachverhalt vor, so muss die Behörde von sich aus den Sachverhalt aufklären. Verzichtet sie darauf und veranlagt ohne Vorbehalt nach den Angaben des Steuerpflichtigen, so kann sie später den Steuerbescheid nicht unter Berufung auf neue Tatsachen ändern. Die Tatsachen waren der Behörde dem Grunde nach bekannt und damit nicht mehr neu. Im Rahmen des Amtsermittlungsgrundsatzes hätte die Behörde entsprechende Vereinbarungen anfordern können und den Sahcverhalt anhand der vorgelegten Unterlagen rechtlich zutreffend beurteilen können.
Hinweis
Das Gericht hat die Revision zugelassen (AZ des BFH: XI R 10/03). Die bislang vom BFH zum Problem ergangenen Urteile lassen keine zuverlässige Prognose zu: Einerseits hat sich der BFH auf die Linie festgelegt, dass eindeutigen Steuerklärungen nicht mit Misstrauen zu begegnen ist und insofern keine Amtsermittlungspflicht bestünde. Andererseits hat der BFH in einem vergleichbaren Fall (BFH, Urteil v. 3.7.2002, XI R 17/01) entschieden, dass das Finanzamt später nicht mehr nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO ändern kann, wenn dem Finanzamt bei Erlass des ursprünglichen Bescheides die zugrunde liegenden Sachverhalte - Anteilsveräußerung und Entschädigung - bekannt waren. Aus dem mitgeteilten Sachverhalt geht nicht klar hervor, ob auch dort die Behörde beim Ausgangsbescheid über Hinweise auf eine GmbH-Anteilsveräußerung verfügte oder nicht.
Link zur Entscheidung
FG Köln, Urteil vom 17.12.2002, 9 K 4254/99