Prof. Dr. Franceska Werth
Leitsatz
1. Nicht ausgeglichene Verluste eines Ehegatten aus Kapitalvermögen können im Rahmen einer Veranlagung der Kapitalerträge zum gesonderten Tarif i.S. des § 32d Abs. 1 EStG nicht ehegattenübergreifend mit positiven Kapitalerträgen des anderen Ehegatten verrechnet werden.
2. Es ist mit der Niederlassungs- und der Kapitalverkehrsfreiheit vereinbar, dass ausländische Quellensteuerbeträge gemäß § 32d Abs. 5 Sätze 1 und 2 EStG nicht gemäß § 32d Abs. 1 Satz 2 EStG auf die Einkommensteuer zum gesonderten Tarif i.S. des § 32d Abs. 1 EStG anrechenbar sind und verfallen, wenn die zugrunde liegenden ausländischen Kapitalerträge gemäß § 20 Abs. 6 Satz 3 EStG mit inländischen Verlusten aus Kapitalvermögen zu verrechnen sind.
Normenkette
§ 20 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, Abs. 6 Satz 3, Abs. 9 Satz 3, § 32d Abs. 4, Abs. 5 Sätze 1 bis 3, § 36 Abs. 2 Nr. 2, § 43a Abs. 3 EStG 2010, Art. 49, Art. 63 AEUV
Sachverhalt
Der Kläger war im Inland unbeschränkt steuerpflichtig. Er verfügte im Streitjahr 2010 jeweils über Einzelkonten und ‐depots, die bei verschiedenen in‐ und ausländischen Kreditinstituten geführt wurden. Die Kapitalerträge wurden auf der Depotebene im Rahmen des KapESt-Abzugs mit einem vorhandenen Verlustverrechnungstopf und neu entstandenen Verlusten des Streitjahrs verrechnet. Nach der Verrechnung verblieben dem Kläger aus dem Depot bei der X‐Bank nicht ausgeglichene Verluste (ohne Aktienveräußerungsverluste) i.H.v. 1.741.777 EUR.
Der Kläger erzielte ferner, d.h. vor der Verrechnung mit den nicht ausgeglichenen Verlusten aus dem Depot bei der X‐Bank, in‐ und ausländische Kapitalerträge gemäß § 20 Abs. 1 und Abs. 2 EStG i.H.v. 1.470.475 EUR.
Die Ehefrau des Klägers erzielte im Streitjahr in‐ und ausländische Kapitalerträge gemäß § 20 Abs. 1 und Abs. 2 EStG i.H.v. 31.782 EUR.
Der Kläger und seine Ehefrau erklärten in ihren Anlagen KAP zur ESt-Erklärung für das Streitjahr jeweils ihre gesamten Kapitalerträge. Sie beantragten jeweils für sämtliche Kapitalerträge die Überprüfung des Steuereinbehalts gemäß § 32d Abs. 4 EStG und die Günstigerprüfung gemäß § 32d Abs. 6 EStG.
Das FA setzte beim Kläger und bei der Ehefrau des Klägers jeweils Kapitalerträge i.H.v. 0 EUR an. Hierzu gelangte es, indem es von den Kapitalerträgen des Klägers (1.470.475 EUR) erklärungsgemäß zunächst Altverluste gemäß § 23 EStG a.F. i.H.v. 1.738 EUR abzog. Die danach verbliebenen positiven Kapitalerträge des Klägers (1.468.737 EUR) verrechnete das FA mit den nicht ausgeglichenen Verlusten des Klägers aus dem Depot bei der X‐Bank (1.741.777 EUR) und mit den Kapitalerträgen der Ehefrau (31.782 EUR). Es verblieben nicht ausgeglichene Verluste des Klägers i.H.v. 241.258 EUR. Aufgrund der beantragten Günstigerprüfung rechnete das FA die Kapitalerträge des Klägers und der Klägerin jeweils i.H.v. 0 EUR den tariflich zu besteuernden Einkünften hinzu. Die im ESt-Bescheid ausgewiesenen nicht ausgeglichenen negativen Kapitalerträge des Klägers aus Kapitalvermögen i.H.v. 241.258 EUR stellte das FA gemäß § 10d EStG zum 31.12.2010 gesondert fest.
Die ausländischen Quellensteuerbeträge beider Eheleute blieben unberücksichtigt, weil nach der Verlustverrechnung auf die zugrunde liegenden ausländischen Kapitalerträge jeweils keine inländische ESt entfiel. Den hiergegen erhobenen Einspruch gegen die Höhe der nach der Verlustverrechnung anzusetzenden Kapitalerträge und die nicht gewährte Anrechnung der ausländischen Quellensteuerbeträge wies das FA als unbegründet zurück. Die anschließend erhobene Klage hatte keinen Erfolg (FG Köln, Urteil vom 17.5.2018, 13 K 3342/12, Haufe-Index 12466839, EFG 2019, 112).
Entscheidung
Die Revision des Klägers war teilweise begründet, da das FA zu Unrecht die positiven Kapitalerträge der Ehefrau mit seinen Verlusten verrechnete. Sie führte zur Aufhebung der Vorentscheidung und teilweisen Stattgabe der Klage.
Hinweis
1. Der BFH hat in der vorliegenden Entscheidung die Grundsätze der Verlustverrechnung bei Kapitaleinkünften i.S.d. § 20 EStG noch einmal justiert. Dies gilt insbesondere für die Verrechnung von im Ausland erzielten positiven Kapitaleinkünften, für die Quellensteuer einbehalten wurde, mit inländischen Verlusten.
2. Zunächst ist festzuhalten, dass auch die Klage gegen einen sog. Nullbescheid zulässig ist, um die aus § 20 Abs. 6 Satz 4 i.V.m. § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG folgende negative Bindungswirkung des ESt-Bescheids für die Verlustfeststellung abzuwehren.
3. Der Kläger hat jedoch sein Ziel der Anrechnung der im Ausland einbehaltenen Quellensteuer gemäß § 32d Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32d Abs. 5 EStG auf die inländische ESt nicht erreicht. Aufgrund der vorrangig vorzunehmenden Verlustverrechnung nach § 20 Abs. 6 Satz 3 EStG wurde im Inland keine ESt auf die im Ausland erzielten Kapitalerträge erhoben. Eine Anrechnung der Quellensteuer nach § 32d Abs. 5 EStG ist daher nicht vorzunehmen. Es besteht kein Wahlrecht, quellensteuerbelastete ausländische Kapitalerträge nicht mit inländischen Verlusten zu verrechnen.
4. Unzulässig ist auch die vom ...