Dr. Hubertus Gschwendtner
Leitsatz
Ein Kind, das vom Studium beurlaubt ist, befindet sich jedenfalls dann nicht in einer Berufsausbildung, wenn ihm während der Zeit der Beurlaubung nach hochschulrechtlichen Bestimmungen der Besuch von Lehrveranstaltungen und der Erwerb von Leistungsnachweisen untersagt ist.
Normenkette
§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG , § 70 Abs. 2 EStG
Sachverhalt
Die 1973 geborene Tochter I des Klägers war von März 1996 bis September 1999 an einer Universität immatrikuliert. Sie bekam im September 1996 ein Kind und war danach – mit Ausnahme des Sommersemesters 1997 – bis zu ihrer Exmatrikulation im Wintersemester 1999/2000 vom Studium beurlaubt. In den Sommersemestern 1998 und 1999 besuchte sie betriebswirtschaftliche Vorlesungen. Ab Oktober 1999 war sie nichtselbstständig tätig.
Der Beklagte hob die Kindergeldfestsetzung rückwirkend ab Oktober 1997 auf und forderte das zuviel gezahlte Kindergeld zurück, weil sich I nicht in Ausbildung befunden habe. Das FG gab der Klage für die Zeit von Januar bis September 1999 statt, weil I in dieser Zeit das Studium fortgesetzt habe.
Entscheidung
Der BFH hob das Urteil auf und wies die Klage ab. Eine Berufsausbildung i.S.v. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG liege nicht vor, wenn das Kind vom Studium beurlaubt sei und die hochschulrechtlichen Bestimmungen des betreffenden Bundeslandes die Fortsetzung des Studiums während der Beurlaubung untersagten. Das sei nach der Immatrikulationsverordnung des Landes Hessen der Fall. Eine Ausnahmegenehmigung sei I nicht erteilt worden.
Hinweis
Nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG besteht für ein Kind in Berufsausbildung grundsätzlich ein Kindergeldanspruch. In Berufsausbildung befindet sich ein Kind immer dann, wenn es sich ernstlich auf ein Berufsziel vorbereitet, d.h. die Ausbildung ernsthaft und nachhaltig betreibt.
Dass diese Voraussetzung auch noch erfüllt sein kann, wenn die Ausbildungsmaßnahme die Zeit und Arbeitskraft des Kindes nicht überwiegend in Anspruch nimmt, hat der BFH bereits mehrfach entschieden (z.B. im Urteil vom 9.7.1999, VI R 33/98, BStBl II 1999, 701 unter 1.d. der Gründe). Diese Grenze ist aber überschritten, wenn sich das Kind – wie hier vom Studium – beurlauben lässt und damit zeitweilig seine Arbeitskraft überhaupt nicht der Ausbildung widmet. Eine – regelmäßig nicht nachweisbare – autodidaktische Weiterbildung in dieser Zeit reicht grundsätzlich nicht aus.
Das Studium ist durch die Teilnahme an Vorlesungen und dem Erwerb von Leistungsnachweisen gekennzeichnet. Wer davon ausgeschlossen ist – hier durch Immatrikulationsverordnung – kann seine Ausbildung nicht ernsthaft und nachhaltig betreiben (zur Abgrenzung – Teilnahme an schriftlichen und mündlichen Prüfungen trotz Beurlaubung, vgl. BFH, Urteil vom 16.4.2002, VIII R 89/01, BFH/NV 2002, 1150 – und Ableistung eines Praktikums während der Beurlaubung, vgl. FG Baden-Württemberg, Urteil vom 27.8.2002, 2 K 40/00, EFG 2002, 1618, Revision VIII R 77/02).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 13.7.2004, VIII R 23/02