Leitsatz
1. Die Steuerentlastungen nach § 9b und § 10 StromStG sind Beihilfen i.S. des Art. 107 Abs. 1 AEUV.
2. Der Anwendung von § 9b, § 10 StromStG steht im Jahr 2016 für Unternehmen in Schwierigkeiten das Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV entgegen.
3. Für die Einordnung eines Unternehmens als Unternehmen in Schwierigkeiten kommt es nach Art. 2 Nr. 18 Buchst. a AGVO nur auf das einzelne Unternehmen, nicht jedoch auf die wirtschaftliche Einheit (Konzernverbund) an, in den das einzelne Unternehmen eingebunden ist.
4. Für ein Unternehmen in Schwierigkeiten im Sinne der AGVO kommt es bei Erfüllung der Voraussetzung des Art. 2 Nr. 18 Buchst. a AGVO nicht darauf an, ob im Einzelfall eine positive Fortführungsprognose besteht.
Normenkette
§ 9b, § 10 StromStG, Art. 107, Art. 108 AEUV, Art. 2 AGVO
Sachverhalt
Im vorliegenden Verfahren war streitig, ob der Klägerin, einer GmbH, die Entlastung nach den §§ 9b, 10 StromStG für das Kalenderjahr 2016 zustand, weil sie bereits zum 31.12.2014 einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag ausgewiesen hatte.
Das FG urteilte, dass die Steuerbegünstigungen der §§ 9b und 10 StromStG Beihilfen im Sinne des Unionsrechtes seien, und verwies hierbei auch auf § 2a Abs. 3 StromStG in der ab 1.1.2018 geltenden Fassung. Der Entlastung stehe das Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV entgegen, weil die Klägerin ein Unternehmen in Schwierigkeiten sei. Auf eine positive Fortführungsprognose komme es nicht an (FG München, Urteil vom 6.6.2019, 14 K 3001/18, Haufe-Index 13407429).
Entscheidung
Der BFH hat die Revision der Klägerin aus den in den Praxis-Hinweisen dargestellten Gründen als unbegründet zurückgewiesen.
Hinweis
Im Streitfall äußerte sich der BFH erstmals zum Begriff des Unternehmens in Schwierigkeiten nach der AGVO und zu den Folgen einer solchen Qualifizierung auf die Beihilfegewährung.
1. Die Steuerentlastungen nach § 9b und § 10 StromStG sind unter Art. 107 Abs. 1 AEUV fallende staatliche Beihilfen.
Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein, um eine Beihilfe anzunehmen:
- Erstens muss es sich um eine staatliche Maßnahme oder eine Maßnahme unter Inanspruchnahme staatlicher Mittel handeln.
- Zweitens muss die Maßnahme geeignet sein, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.
- Drittens muss dem Begünstigten durch die Maßnahme ein selektiver Vorteil gewährt werden.
- Viertens muss die Maßnahme den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen.
Die Klägerin hatte im Wesentlichen eingewendet, dass es an der Selektivität und bei dem sog. Spitzenausgleich nach § 10 StromStG bereits an einem Vorteil mangele. Dem ist der BFH entgegengetreten. Für die dem § 9b StromStG vergleichbaren Regelungen in Österreich hat der EuGH bereits ausdrücklich entschieden, dass nationale Maßnahmen, die eine teilweise Vergütung von Energieabgaben auf Erdgas und elektrische Energie nur für Unternehmen vorsehen, deren Schwerpunkt nachweislich in der Herstellung körperlicher Güter besteht, als staatliche Beihilfen anzusehen sind (EuGH, Urteil vom 8.11.2001, C-143/99, Adria-Wien Pipeline und Wietersdorfer & Peggauer Zementwerke, EU:C:2001:598, Slg. 2001, I 8365, HFR 2002, 158). Schließlich mangelt es nicht deshalb an einem Vorteil, weil die betroffenen Unternehmen nach § 10 Abs. 3 StromStG verpflichtet sind, ein Energiemanagementsystem zu betreiben. Für ihre Behauptung, es handele sich dabei um eine angemessene Gegenleistung der Unternehmen, hatte die Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren weder Beweis angeboten noch eine mangelnde Sachverhaltsaufklärung gerügt.
2. Mangels ausdrücklicher Genehmigung dieser Beihilfen durch die Europäische Kommission stand der Begünstigung der Klägerin im Streitfall das Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV entgegen. Die Kommission hatte die Steuerermäßigungen für das produzierende Gewerbe und den sog. Spitzenausgleich zwar bis zum 31.12.2012 als Beihilfen genehmigt, Streitjahr war jedoch das Jahr 2016. Somit kam es auf eine allgemeine Genehmigung der Beihilfen nach der AGVO an. Diese war ausgeschlossen, weil die Klägerin als ein Unternehmen in Schwierigkeiten i.S.v. Art. 2 Nr. 18 Buchst. a AGVO anzusehen war und die AGVO nach Art. 1 Abs. 4 Buchst. c AGVO nicht für Beihilfen für Unternehmen in Schwierigkeiten gilt.
3. Hier war ein Fall des Art. 2 Nr. 18 Buchst. a AGVO gegeben, weil bei einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung mehr als die Hälfte des gezeichneten Stammkapitals infolge aufgelaufener Verluste verloren gegangen war. Ausweislich des Erwägungsgrundes 14 der AGVO hatte der Unionsgesetzgeber im Interesse der Rechtssicherheit damit ein Kriterium gewählt, das einer Auslegung nicht bedarf. Deshalb handelt es sich nach Ansicht des BFH nicht lediglich um eine gesetzliche Vermutung für das Bestehen wirtschaftlicher Schwierigkeiten, die im Einzelfall durch den Nachweis weiterer Umstände widerlegt werden könnten. Zudem kommt es auf die einzelne GmbH und nicht auf den Konzernverbun...