Leitsatz
Es bestehen ernstliche Zweifel, ob den zusammen veranlagten Ehegatten der für Vorsorgeaufwendungen zustehende Vorwegabzug (§ 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG) um 16 % des Arbeitslohns des Ehegatten zu kürzen ist, für den keine Zukunftssicherungsleistungen i.S.d. § 3 Nr. 62 EStG erbracht werden und der auch nicht zum Personenkreis des § 10c Abs. 3 Nr. 1 oder 2 EStG gehört.
Normenkette
§ 10 Abs. 3 EStG
Sachverhalt
Die Antragsteller sind zusammen veranlagte Eheleute. Die Ehefrau bezog in den Streitjahren 1999 und 2000 sozialversicherungspflichtigen Arbeitslohn. Der Ehemann bezog als Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH nicht sozialversicherungspflichtigen Arbeitslohn. Anwartschaftsrechte auf eine Altersversorgung hatte er nicht erworben.
Das FA kürzte bei der Höchstbetragsberechnung der Vorsorgeaufwendungen der Eheleute den gemeinsamen Vorwegabzug um 16 % des von beiden bezogenen Arbeitslohns. Das FG hob auf Antrag der Eheleute die Vollziehung der Einkommensteuerbescheide wegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit auf.
Entscheidung
Der BFH wies die Beschwerde des FA als unbegründet zurück.
Es sei ernstlich zweifelhaft, ob allein aufgrund der Tatsache, dass die mit dem Antragsteller zusammen veranlagte Antragstellerin sozialversicherungspflichtigen Lohn bezogen habe, die Einnahmen des Antragstellers aus nichtselbstständiger Tätigkeit in die Bemessungsgrundlage für die Kürzung des Vorwegabzugs eingehen.
Hinweis
1. Die Kürzungsregelung in § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a EStG ist insofern mehrdeutig, als dort von "Zukunftssicherung des Steuerpflichtigen" die Rede ist. Denn bei der Zusammenveranlagung von Ehegatten werden diese gem. § 26b EStG beim Sonderausgabenabzug "gemeinsam als Steuerpflichtiger behandelt". Folglich hat der BFH auch stets einen gemeinsamen Vorwegabzug der Eheleute angenommen und eine individuelle Kürzung anhand der jeweils erzielten Einnahmen versagt (vgl. z.B. BFH, Urteil vom 4.3.1998, X R 109/95, BFH/NV 1998, 1466).
Die Problematik des Streitfalls ist jedoch eine andere. Hier würden – wenn man dem FA folgt – allein auf Grund sozialversicherungspflichtiger Einnahmen eines Ehegatten bei der Kürzung des Vorwegabzugs auch Einnahmen aus nichtselbstständiger Tätigkeit des anderen Ehegatten berücksichtigt, die – für sich betrachtet – die Voraussetzungen des § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a EStG nicht erfüllen. Der BFH bezweifelt, ob das im Sinn des Gesetzes liegt.
2. Die historische Entwicklung der Kürzungsvorschrift spricht jedenfalls dagegen. Denn nach der bis 1992 geltenden Fassung richtete sich die Kürzung nach dem Arbeitslohn aus der Beschäftigung, "mit der die Alters- oder Krankenversorgung zusammenhängt". Es ist für den BFH nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber mit der Einführung der Neuregelung, die der Vereinfachung dienen sollte, diesen Zusammenhang aufgeben wollte.
3. Der BFH hält allein die von ihm getroffene Auslegung – sozialversicherungsfreie Einnahmen eines Ehegatten, der aus dieser Tätigkeit auch keine Anwartschaft auf eine Altersversorgung erwirbt, nicht in die Kürzungsregelung einzubeziehen – für verfassungskonform. Die vom FA zugrunde gelegte Auslegung würde dazu führen, dass Steuerpflichtige mit nicht sozialversicherungspflichtigen Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit (wie der Antragsteller) schlechter gestellt wären als Steuerpflichtige, die Einkünfte aus einer anderen Einkunftsart erzielen. Darin läge ein Verstoß gegen Art. 3 GG.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 14.4.2003, XI B 226/02