Leitsatz
Der Umsatzsteueranspruch für einen Besteuerungszeitraum, in dem der Unternehmer einem Eröffnungsverfahren mit vorläufiger Eigenverwaltung nach § 270a InsO unterliegt, ist weder nach § 55 Abs. 2 InsO noch nach § 55 Abs. 4 InsO eine Masseverbindlichkeit; auch eine analoge Anwendung dieser Vorschriften kommt nicht in Betracht (Anschluss an BGH vom 22.11.2018 ‐ IX ZR 167/16, BGHZ 220, 243).
Normenkette
§ 55 Abs. 2 und Abs. 4, § 270a, § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO
Sachverhalt
Der Kläger ist Insolvenzverwalter im Insolvenzverfahren der X GmbH (GmbH). Die GmbH hatte als Insolvenzschuldner am 13.12.2016 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung gemäß § 270a InsO beantragt. Das zuständige Amtsgericht bestellte den Kläger mit Beschluss vom selben Tag zum vorläufigen Sachwalter.
Mit Beschluss vom 1.9.2017 wurde über das Vermögen der GmbH das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung eröffnet. Nach dem Beschluss war die GmbH berechtigt, unter Aufsicht des Sachwalters die Insolvenzmasse zu verwalten und über sie zu verfügen (§§ 270 bis 285 InsO). Zum Sachwalter wurde wiederum der Kläger bestellt.
Das Finanzamt setzte durch Bescheid vom 24.11.2017, der an die GmbH unter deren Massesteuernummer adressiert war, die Umsatzsteuer-Vorauszahlung Februar 2017 in Höhe von 6.771,42 EUR fest.
Mit einem notariell beurkundeten Kaufvertrag vom 27.11.2017 veräußerte die GmbH wesentliche, dem Betrieb ihres Unternehmens dienende Aktiva an einen Erwerber zum Zwecke der Fortführung des Geschäftsbetriebes.
Durch Beschluss vom 31.1.2018 hob das Amtsgericht die Anordnung der Eigenverwaltung auf und bestellte den Kläger zum Insolvenzverwalter über das Vermögen der GmbH.
Der von der GmbH in Eigenverwaltung erhobene Einspruch gegen die Festsetzung zur Umsatzsteuer-Vorauszahlung für Februar 2017 vom 24.11.2017 blieb erfolglos. Demgegenüber gab das Finanzgericht der Klage statt (FG Münster, Urteil vom 12.3.2019, 15 K 1535/18 U, Haufe-Index 13053530, EFG 2019, 996).
Entscheidung
Der BFH bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz.
Hinweis
1. Im Rahmen der vorläufigen Eigenverwaltung während des Insolvenzeröffnungsverfahrens nach § 270a InsO entstehen grundsätzlich keine Masseverbindlichkeiten. Für eine unmittelbare Anwendung von § 55 Abs. 2 und Abs. 4 InsO fehlt es bereits an der Grundvoraussetzung der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters.
2. Zudem sind § 55 Abs. 2 InsO und § 55 Abs. 4 InsO auf ein Eröffnungsverfahren mit vorläufiger Eigenverwaltung auch nicht analog anzuwenden, wie der BGH bereits ausdrücklich entschieden hat (BGH, Urteil vom 22.11.2018, IX ZR 167/16, BGHZ 220, 243).
3. Dem schließt sich der BFH an. Maßgeblich ist, dass der vorläufige Insolvenzverwalter die ihm aufgrund seiner Bestellung zugewiesene Amtsbefugnisse ausübt, während dem Insolvenzschuldner im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse über sein Vermögen aus eigenem Recht zustehen.
Abweichendes ergibt sich auch nicht aus § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO. Die Bestellung eines vorläufigen Sachwalters nach § 270a Abs. 1 Satz 2 InsO ist ohne Bedeutung, da diesem nur die Befugnisse der §§ 274 f. InsO zustehen, die denen der vorstehend genannten vorläufigen Insolvenzverwalter nicht entsprechen.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 7.5.2020 – V R 14/19