Prof. Dr. Stefan Schneider
Leitsatz
Die betriebliche Einrichtung eines Kunden des Arbeitgebers ist keine regelmäßige Arbeitsstätte i.S.d. § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG. Die Vorschrift kommt demnach auch dann nicht zur Anwendung, wenn ein Arbeitnehmer bei einem Kunden des Arbeitgebers längerfristig eingesetzt ist (Festhalten am Senatsurteil vom 10.07.2008, VI R 21/07, BFH/NV 2008, 1923, BFH/PR 2008, 497).
Normenkette
§ 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG
Sachverhalt
Der Kläger K war im Streitjahr 1998 der mit 60 % beteiligte Gesellschafter und Geschäftsführer der A-GmbH; die hatte ihren Sitz in einem Büroraum unter Ks privater Adresse in G. K war als Arbeitnehmer der A-GmbH nur für die X-AG in W tätig. Den Auftrag dafür hatte die A-GmbH von der B-GmbH, die mit der X-AG in Vertragsbeziehungen stand. Im Rahmen dieser Unterbeauftragung war K über Jahre bei der X-AG im EDV-Bereich in deren Räumen tätig, die auch von weiteren Mitarbeitern der A- und B-GmbH genutzt wurden. Im Büro in G übte K Geschäftsführungsaufgaben sowie Vor- und Nachbereitungen der Beratungstätigkeit aus und lagerte dort Schriftverkehr und Fachliteratur.
Mit der ESt-Erklärung 1998 machte K Reisekosten nach W als Werbungskosten geltend. Das FA behandelte dagegen die Tätigkeitsstätte in W als regelmäßige Arbeitsstätte von K und berücksichtigte die Aufwendungen für Fahrten dorthin nur nach den für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte geltenden Grundsätzen.
Einspruch und Klage dagegen hatten keinen Erfolg (Niedersächsisches FG, Urteil vom 24.10.2007, 12 K 611/04, Haufe-Index 2011125, EFG 2008, 1115).
Entscheidung
Der BFH hob die Vorentscheidung auf und entsprach der Klage aus den unter Praxishinweisen genannten Gründen.
Hinweis
Das Besprechungsurteil befasst sich wieder einmal mit der regelmäßigen Arbeitsstätte. Das ist die Tätigkeitsstätte, auf die sich der Arbeitnehmer angesichts der immer gleichen Wege einstellen und auf eine Minderung der Wegekosten hinwirken kann. Für diesen Grundfall sieht der BFH § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG als sachgerechte und folgerichtige Ausnahme vom objektiven Nettoprinzip (z.B. BFH, Urteil vom 18.12.2008, VI R 39/07, BFH/NV 2009, 647, BFH/PR 2009, 169).
1. Im Streitfall verneinte der BFH eine regelmäßige Arbeitsstätte, weil sich der Arbeitnehmer eben nicht auf die immer gleichen Wege einstellen konnte, etwa durch Bildung von Fahrgemeinschaften, Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel oder sogar durch entsprechende Wohnsitznahme. Wie aus dem Leitsatz ersichtlich, hatte sich der BFH mit dieser Frage schon befasst (BFH, Urteil vom 10.07.2008, VI R 21/07, BFH/NV 2008, 1923, BFH/PR 2008, 498). Die Finanzverwaltung wollte sie allerdings noch nicht akzeptieren. Jetzt folgt die ausdrückliche Klarstellung.
2. Die Entscheidung stützt sich auf die vorangegangene Entscheidung (BFH/PR 2008, 498) und insbesondere auf die neue Rechtsprechung des VI. Senats seit seinen "Mai-Urteilen" aus 2005 (vgl. dazu BFH/PR 2009, 169 m.w.N.), die mit grundsätzlichen Überlegungen zum objektiven Nettoprinzip zwischen Tätigkeiten an der regelmäßigen Arbeitsstätte und Auswärtstätigkeiten differenziert. Danach hat ein auswärts tätiger Arbeitnehmer typischerweise nicht die Möglichkeiten, seine Wegekosten gering zu halten, auch ein Familienumzug scheidet aus.
3. Erstmals stellt hier der BFH ausdrücklich klar, dass es für die Frage, ob ein Arbeitnehmer sich auf eine bestimmte Tätigkeitsstätte einstellen kann, stets auf die Sicht zum Zeitpunkt des Beginns der jeweiligen Tätigkeit ("ex ante") ankommt. Entscheidend ist also nicht, ob der Arbeitnehmer tatsächlich Jahre bei einem Kunden des Arbeitgebers eingesetzt war, sondern, ob sich der Arbeitnehmer auf einen solchen tatsächlichen Ablauf hätte verlassen und einrichten können. Davon kann bei einer betrieblichen Einrichtung eines Kunden des Arbeitgebers nicht ausgegangen werden. Denn entscheidend ist das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers zu seinem Arbeitgeber und nicht die Kundenbeziehung des Arbeitgebers zu dessen Auftraggeber. Und auch bei längerfristigem Einsatz beim Kunden steht die dortige Tätigkeit unter dem Vorbehalt, dass die vom Arbeitsverhältnis unabhängige Vertragsbeziehung zwischen Arbeitgeber und Kunde Bestand hat.
4. Zu beachten: Die Frage, wo Leiharbeitnehmer ihre regelmäßige Tätigkeitsstätte haben, wirft ähnliche Fragen auf. Dazu ist ein Revisionsverfahren (VI R 35/08, Vorinstanz Niedersächsisches FG, vom 18.02.2008, 4 K 1/07, Haufe-Index 2106191, EFG 2009, 242) anhängig.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 09.07.2009 – VI R 21/08