Leitsatz
1. Eine Rückstellung kann auch für Verpflichtungen aus öffentlichem Recht gebildet werden, wenn die Verpflichtung wirtschaftlich in den bis zum Bilanzstichtag abgelaufenen Wirtschaftsjahren verursacht ist.
2. Die Verpflichtung muss nicht nur an Vergangenes anknüpfen, sondern auch Vergangenes abgelten. Das ist der Fall, wenn sie auch dann zu erfüllen ist, wenn der Betrieb zum Ende des Bilanzzeitraums aufgegeben würde.
3. Das Going-Concern-Prinzip bezieht sich auf die Bewertung, nicht den Ansatz von Bilanzpositionen.
4. Für Kammerbeiträge eines künftigen Beitragsjahres, die sich nach der Höhe des in einem vergangenen Steuerjahr erzielten Gewinns bemessen, kann keine Rückstellung gebildet werden.
Normenkette
§ 5 Abs. 1 Satz 1 EStG, § 249 Abs. 1 Satz 1, § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB, § 90, § 113 HwO
Sachverhalt
Der Kläger ist Mitglied der Handwerkskammer A. In deren Vollversammlung werden regelmäßig jeweils im letzten Quartal des Jahres die Beiträge für das kommende Beitragsjahr festgesetzt.
Seit vielen Jahren wird ein Zusatzbeitrag mit 1,5 % des drei Jahre vor dem Beitragsjahr ermittelten Gewerbeertrages bestimmt. Der Kläger passivierte in seiner Bilanz die künftig zu erwartenden Zusatzbeiträge als sonstige Rückstellungen.
Dies lehnte das FA ab. Die Klage des Klägers hatte Erfolg. Das FG meinte, es bestehe eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass die Verbindlichkeit dem Grunde nach künftig entstehe und der Kläger ernsthaft mit seiner Inanspruchnahme rechnen müsse. Das Erfordernis fortbestehender Kammerzugehörigkeit sei kein entscheidendes Kriterium, da nach dem Rechtsgedanken des § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB auch im Bereich der Rückstellungen von der Fortführung der Unternehmenstätigkeit auszugehen sei (Thüringer FG, Urteil vom 7.7.2015, 2 K 505/14, Haufe-Index 8750907, EFG 2015, 1513).
Entscheidung
Die Revision des FA war begründet. Eine Rückstellung für die künftige Verpflichtung zur Entrichtung der Zusatzbeiträge ist nicht zu bilden.
Hinweis
1. Rückstellungen für ungewisse öffentlich-rechtliche Verpflichtungen können gebildet werden, wenn sie bereits konkretisiert, d.h. inhaltlich hinreichend bestimmt, in zeitlicher Nähe zum Bilanzstichtag zu erfüllen sowie sanktionsbewehrt sind. Konkretisiert wird eine öffentlich-rechtliche Pflicht regelmäßig durch einen gesetzeskonkretisierenden Rechtsakt oder durch unmittelbare Erfüllung der Merkmale des gesetzlichen Tatbestands. In diesen Fällen ist eine Verbindlichkeit bereits entstanden.
Ist die Verpflichtung am Bilanzstichtag nicht nur der Höhe nach ungewiss, sondern auch dem Grunde nach noch nicht rechtlich entstanden, so kann eine Rückstellung gleichwohl gebildet werden, wenn sie wirtschaftlich in den bis zum Bilanzstichtag abgelaufenen Wirtschaftsjahren verursacht ist. Dies liegt dann vor, wenn die Verpflichtung so eng mit dem betrieblichen Geschehen des Wirtschaftsjahres verknüpft ist, dass es geboten ist, sie wirtschaftlich als Aufwand des jeweiligen Wirtschaftsjahres zu behandeln. Eine derartige Verknüpfung der Verpflichtung mit der Vergangenheit kann insbesondere dann bejaht werden, wenn sie auch zu erfüllen wäre, wenn der Betrieb zum Ende des Bilanzzeitraums aufgegeben würde.
2. Eine Rückstellung für künftige Zusatzbeiträge einer Handwerkskammer kann damit nicht gebildet werden. Es fehlt sowohl an einer bereits entstandenen rechtlichen Verpflichtung als auch an einer wirtschaftlichen Verknüpfung mit der Vergangenheit.
Da die Beitragspflicht unmittelbar und zwingend an die Kammerzugehörigkeit im Beitragsjahr anknüpft, kann eine entsprechende Verpflichtung rechtlich nicht vor dem Zeitraum entstehen, auf den sich die Beitragspflicht bezieht, denn vor diesem Zeitraum besteht die Kammerzugehörigkeit nicht. Zu einem bestimmten Bilanzstichtag ist daher die rechtliche Entstehung der Beitragspflicht für künftige Jahre nicht denkbar.
Eine Rückstellung kann aber auch nicht gebildet werden, weil die Beitragspflicht in einem bis zum Bilanzstichtag abgelaufenen Wirtschaftsjahr wirtschaftlich verursacht worden wäre, da die Kammerzugehörigkeit im Beitragsjahr das wirtschaftlich wesentliche Tatbestandsmerkmal ist. Sie ist die Grundlage der Beitragspflicht als solcher, und zwar auch hinsichtlich eines Zusatzbeitrags. Der Vergangenheitsbezug liegt lediglich in der Anknüpfung an die Gewerbeerträge der vorangehenden Gewinnermittlungszeiträume und ist damit nur für die Höhe des Zusatzbeitrags relevant. Dies reicht aber für die Bildung einer Rückstellung nicht aus.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 5.4.2017 – X R 30/15