Leitsatz
Keine Verlängerung der Festsetzungsfrist wegen Steuerhinterziehung bei Kenntnis der Steuerdaten durch die Finanzbehörden.
Sachverhalt
Die Kläger erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Bis 2008 betraf dies nur den Ehemann, ab 2009 erzielte auch die Klägerin diese Art von Einkünften. Sämtliche Daten wurden von den Arbeitgebern an die Finanzbehörden übermittelt. Ab diesem Jahr gaben die Kläger keine Steuererklärung mehr ab, obwohl sie hierzu verpflichtet gewesen wären. Anfang 2018 stellten die Finanzbehörden fest, dass die Kläger ab 2009 zur Abgabe einer Steuererklärung verpflichtet gewesen wären. Das Finanzamt leitete sodann ein Strafverfahren für die Jahre 2011-2016 ein. Für 2009 und 2010 nahm das Finanzamt zwar Strafverfolgungsverjährung an, erließ aber geänderte Steuerbescheide und setzte einen Verspätungszuschlag fest. Die Besteuerungsgrundlagen wurden geschätzt. Die Kläger wandten sich erfolglos gegen diese Bescheid im Einspruchsverfahren. Sie führten insbesondere an, es sei Festsetzungsverjährung für die Jahre 2009 und 2010 eingetreten.
Entscheidung
Die Klage hatte Erfolg. Das FG Münster entschied, dass hinsichtlich der Einkommensteuer 2009 und 2010 keine vollendete Steuerhinterziehung durch die Kläger begangen worden sei. Dementsprechend sei Festsetzungsverjährung eingetreten, da die normale Verjährungsfrist von vier Jahren abgelaufen sei. Eine vollendete Steuerhinterziehung sei von den Klägern nicht dadurch begangen worden, dass die Kläger trotz der Erfüllung der Voraussetzungen für eine Pflichtveranlagung in diesen Jahren keine Steuererklärung abgegeben haben. Die Verletzung der Erklärungspflicht allein reicht nicht aus, um den Tatbestand der Steuerhinterziehung zu verwirklichen. Sinn und Zweck des § 370 AO sei es, das rechtzeitige und vollständige Aufkommen der Steuern zu sichern. Eine Gefährdung des Rechtsguts durch die Steuerpflichtigen besteht hierbei dann nicht, wenn – wie hier – die Finanzbehörden über die für die Besteuerung wesentlichen Umstände informiert sind.
Hinweis
Die Entscheidung ist sicherlich zutreffend. Liegen den Finanzbehörden alle Informationen vor, die für die Festsetzung der zutreffenden Steuern erforderlich sind, kann einem Steuerpflichtigen keine Steuerhinterziehung vorgeworfen werden. Zutreffend führt das Finanzgericht aus, dass der Tatbestand der Steuerhinterziehung das Steueraufkommen schützen soll. Wenn das Finanzamt aber alles weiß, was erforderlich ist um die Steuer fest- und durchzusetzen, liegt keine Steuerhinterziehung vor. Dies sehen die vom FG Münster zitierten Oberlandesgerichte ebenso.
Bleibt zu hoffen, dass sich auch der BFH dieser richtigen Ansicht anschließt. Bislang hatte er sich hierzu nicht zu äußern. Deshalb musste das Finanzgericht die Revision zum BFH nach § 115 Abs. 2 FGO zulassen.
Link zur Entscheidung
FG Münster, Urteil v. 24.06.2022, 4 K 135/19 E