Leitsatz
Ein in der Handelsbilanz gebildeter Sonderposten mit Rücklageanteil bildet keinen Schuldposten ab, der aus zivilrechtlicher Sicht das Unternehmensvermögen mindert. Er ist deshalb bei der Prüfung der Frage, ob eine Kapitalgesellschaft überschuldet und deshalb eine gegen sie gerichtete Forderung eines Gesellschafters wertlos ist, regelmäßig nicht zu berücksichtigen.
Normenkette
§ 8 Abs. 3 Satz 2 KStG, § 6 Abs. 1 EStG
Sachverhalt
Klägerin war eine GmbH, deren Stammkapital zu Beginn des Jahres 1991 (Streitjahr) zu 100 % und später zu 75 % von der X-AG gehalten wurde.
In den Jahren 1985 bis 1990 hatte sie Verluste i.H.v. insgesamt ca. 2,75 Mio. DM erzielt. Im Jahr 1991 erwarb sie zum Preis von 355.500 DM ein Grundstück, auf dem sie mit Investitionskosten von 66,6 Mio. DM ein Produktionswerk errichten wollte. Ferner erwarb sie am 30.12.1991 für 6 Mio. DM von einer Schweizer AG (S-AG) Lizenzen für die Herstellung und den Vertrieb bestimmter Waren. Für den Erwerb dieser Rechte war ihr ein öffentlicher Investitionszuschuss i.H.v. 2,4 Mio. DM gewährt worden.
In ihrer Bilanz auf den 31.12.1991 wies die Klägerin einen Verlustvortrag von 1.228.502 DM sowie einen Jahresüberschuss von 1.280.703 DM aus. Als Aktivposten enthält die Bilanz unter "Kassenbestand, Guthaben bei Kreditinstituten" einen Betrag von 2.745.608 DM; unter den Passiva ist ein Sonderposten mit Rücklageanteil i.H.d. erhaltenen Investitionszuschusses (2,4 Mio. DM) ausgewiesen. Die Gewinn- und Verlustrechnung beinhaltete u.a. einen außerordentlichen Ertrag von 2.167.121 DM, der i.H.v. 2.150.278 DM darauf beruhte, dass die X-AG am 31.12.1991 zum Ausgleich eines Bilanzverlusts auf Forderungen in dieser Höhe verzichtet hatte. Ohne den Forderungsverzicht hätte sich ein nicht durch Eigenkapital abgedeckter Fehlbetrag von 1.998.077 DM ergeben.
Die Klägerin behandelte den Forderungsverzicht als Einlage seitens der X-AG. Dazu wurde im Rahmen einer späteren Betriebsprüfung einvernehmlich festgestellt, dass die X-AG der Klägerin um insgesamt 500.000 DM überhöhte Verrechnungspreise in Rechnung gestellt hatte und dass der Forderungsverzicht in diesem Umfang der Vermeidung einer Rückforderung seitens der Klägerin gedient hatte. Der darüber hinausgehende Forderungsverzicht (2.150.278 DM ./. 500.000 DM = 1.650.278 DM) führte nach Ansicht des FA zu einem steuerpflichtigen außerordentlichen Ertrag.
Die deshalb erhobene Klage hatte teilweise Erfolg: Das FG entschied, dass die erlassene Forderung i.H.v. 500.000 DM werthaltig gewesen sei und dass deshalb der Erlass zu einer verdeckten Einlage i.H.v. von 383.689 DM geführt habe. Die Höhe der verdeckten Einlage ermittelte das FG in der Weise, dass es den seiner Überzeugung nach werthaltigen Teil der Forderung (500.000 DM) zu der seinerzeit bestehenden Gesamtforderung der X-AG (2.150.278 DM) ins Verhältnis setzte und den sich hieraus ergebenden Anteil (23,25 %) an dem Saldo zwischen dem Forderungsverzicht und der Gegenforderung (1.650.278 DM) als verdeckt eingelegt behandelte. Gegen diese Beurteilung wandten sich sowohl die Klägerin als auch das FA.
Entscheidung
Der BFH folgte weder dem einen noch dem anderen. Das gründete darauf, dass die "Werthaltigkeitsprüfung" der Forderungen, auf die verzichtet worden war, nicht richtig vorgenommen worden sei. Das FG habe in diese Prüfung zu Unrecht den Sonderposten mit Rücklagenanteil einbezogen.
Hinweis
1. Gegenstand des Urteils ist im Kern die Frage der Rückgewähr von vGA. Eine solche Rückgewähr ist nach der Rechtsprechung des BFH steuerlich unbeachtlich. Das Gericht versteht die Ausschüttung als einen tatsächlich vollzogenen Geschäftsvorfall, die indes gesellschaftlich (mit-)veranlasst und deswegen als vGA zu qualifizieren ist. Wird das Erlangte vom Gesellschafter an die Kapitalgesellschaft zurückgereicht, handelt es sich steuerlich um eine verdeckte Einlage, nicht um einen schuldrechtlichen Vorgang.
2. So verhält es sich auch, wenn der Gesellschafter auf eine Forderung verzichtet, die aus überhöhten und als vGA zu beurteilenden Verrechnungspreisen resultiert. Die dadurch ausgelöste verdeckte Einlage ist eine solche allerdings nur in jenem Umfang, in welchem die Forderung, auf die verzichtet wird, auch tatsächlich werthaltig ist. Im Übrigen bleibt es bei der durch das Erlöschen der Verbindlichkeit ausgelösten Gewinnerhöhung.
3. Das setzt die Teilwertbestimmung der Forderung bzw. Verbindlichkeit voraus, was wiederum die Prüfung erfordert, ob die Kapitalgesellschaft ihrer (bisherigen) Verpflichtung hätte nachkommen können, also eine Überschuldungsprüfung.
In der Frage, wie diese Prüfung vorzunehmen ist, liegt der eigentliche und für die Praxis verallgemeinerungsfähige Schwerpunkt des Urteils: Er betrifft die Frage, ob sich ein bilanzieller Sonderposten mit Rücklagenanteil in diesem Zusammenhang auswirkt.
Das wird verneint: Ein solcher Sonderposten drücke zum einen eine latente Steuerbelastung aus, zum anderen handle es sich um Eigenkapital. Er beziehe sich aber nicht auf einen Schuldposten, d...