Leitsatz
Die Besteuerung von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, von denen rechtswidrig kein Lohnsteuerabzug vorgenommen wurde, kann nicht in jedem Fall durch Vornahme einer Einkommensteuerveranlagung sichergestellt werden. Eine Einkommensteuerveranlagung ist nur in Fällen, in denen eine Veranlagungspflicht nach § 46 EStG besteht, oder bei Antragstellung durch den Steuerpflichtigen zulässig. Eine Umdeutung von Einkommensteuerbescheiden in Lohnsteuernachforderungsbescheide kommt nicht in Betracht.
Sachverhalt
Im Urteilsfall wurde im Rahmen einer Steuerfahndungsprüfung festgestellt, dass der Arbeitgeber für seinen Arbeitnehmer zu wenig Lohnsteuer einbehalten und abgeführt hat. Nach der "schwarzen Buchführung" wurde der Umsatz pro Schicht zwischen dem Steuerpflichtigen und seinem Arbeitgeber aufgeteilt. Auf Aufforderung des Finanzamtes gab der Steuerpflichtige Einkommensteuererklärungen für die Veranlagungszeiträume 1995 - 1998 ab. Nach Korrektur der erklärten Beträge erfolgten die Veranlagungen unter Zugrundelegung der Einnahmen laut Steuerfahndungsprüfung. Ferner berücksichtigte das Finanzamt in allen Streitjahren die Versorgungspauschale. Der Steuerpflichtige beantragte die Reduzierung der Einkommensteuernachzahlungsbeträge auf maximal 300 DM pro Streitjahr. Die Nachforderung der Lohnsteuer solle beim Arbeitgeber erfolgen. Der Steuerpflichtige trug vor, dass er bereits monatlich mehr als 300 DM an Abgaben gezahlt habe. Ferner habe das Finanzamt keinerlei Risiken und Härten wie beispielsweise Nachtarbeit, Wochenendarbeit und nicht bezahlte Fahrten berücksichtigt. Das Finanzamt vertrat die Auffassung, der Steuerpflichtige sei zu Recht wegen Steuernachzahlung in Anspruch genommen worden. Ermessenserwägungen wären nicht erforderlich gewesen, weil der Arbeitnehmer die Steuer als Erstschuldner schulde. Für 1995 sei die Lohnsteuer unter Anwendung der "Z-Tabelle" berechnet worden.
Entscheidung
Nach Rechtsauffassung des FG bestehen hinsichtlich der Durchführung einer Einkommensteuerveranlagung für 1995 keine Bedenken. Da die Lohnsteuer für 1995 ganz oder teilweise nach der "Z-Tabelle" ermittelt wurde, besteht eine Veranlagungspflicht nach § 46 Absatz 2 Nr. 7 EStG.
Für die Folgejahre kommt eine Einkommensteuerveranlagung nur in Antragsfällen in Betracht. Der Antrag war bis zum Ablauf des auf den Veranlagungszeitraum folgenden zweiten Kalenderjahres durch Abgabe einer Einkommensteuererklärung zu stellen. Die Einkommensteuererklärungen des Steuerpflichtigen für die Streitjahre wurden erst in 2001 und somit nach Ablauf der maßgebenden Frist eingereicht. Die Einkommensteuerveranlagungen für 1996 - 1998 durften nach Ansicht des FG nicht ergehen. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass der Arbeitgeber des Steuerpflichtigen in 1996 und 1997 überhaupt keine Lohnsteuer einbehalten hat. Die Einkommensteuerbescheide 1996 - 1998 können nicht in Lohnsteuernachforderungsbescheide umgedeutet werden. § 128 Abs. 3 AO gestattet nicht die Umdeutung einer gesetzlich gebundenen Entscheidung in eine Ermessensentscheidung. Die nachträgliche Inanspruchnahme für nicht einbehaltene und nicht abgeführte Lohnsteuer stellt eine Ermessensentscheidung dar, bei der das Finanzamt ein Auswahlermessen zwischen dem Arbeitnehmer als Steuerschuldner und dem Arbeitgeber als Haftungsschuldner hat. Die Einkommensteuerbescheide für 1996 - 1998 sind aufzuheben. Da das FG die Einkommensteuerbescheide der betreffenden Veranlagungszeiträume insgesamt als rechtswidrig beurteilt, ist das FG an das Begehren des Steuerpflichtigen hinsichtlich des Klageumfangs nicht gebunden. Die Berücksichtigung von steuerfreien Beträge für Nachtarbeit und Wochenendarbeit bzw. von Abzugsbeträge für nicht bezahlte Fahrten kommt für 1995 nicht in Betracht, da im Urteilsfall keine Zuschläge neben dem Grundlohn gezahlt wurden. Die Vorsorgepauschale i. H. v. 3.726 DM deckt eventuell geleistete Sozialabgaben i. H. v. monatlich 300 DM ab. Im Übrigen hat der Steuerpflichtige aus der Schätzung resultierende Unschärfen zu seinen Ungunsten hinzunehmen, da er durch sein Verhalten Anlass zur Schätzung gegeben hat.
Link zur Entscheidung
FG München, Urteil vom 15.05.2003, 11 K 2986/02