Prof. Dr. Stefan Schneider
Leitsatz
1. Ist bei Einkünften aus nicht selbstständiger Arbeit über einen Antrag auf Veranlagung zur Einkommensteuer bestandskräftig abschlägig entschieden, kommt eine Veranlagung weder nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG i.d.F. des JStG 2007 noch gem. § 46 Abs. 2 Nr. 8 i.d.F. des JStG 2008 in Betracht.
2. Die Änderung des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG durch das JStG 2007 begründet kein weiteres eigenständiges Antragsrecht des Steuerpflichtigen.
3. Kommt eine Veranlagung des Steuerpflichtigen weder nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG i.d.F. des JStG 2007 noch gem. § 46 Abs. 2 Nr. 8 i.d.F. des JStG 2008 in Betracht, können auch Grundlagenbescheide nicht über die Änderungsnorm des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO zu einer solchen führen.
Normenkette
§ 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG i.d.F. des JStG 2008 i. V .m. § 52 Abs. 55j i.d.F. des StVereinfG 2011, § 46 Abs. 2 Nr. 1 ESG i.d.F. des JStG 2007 i.V.m. § 52 Abs. 55j i.d.F. des StVereinfG 2011, § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO
Sachverhalt
K reichte nach Zwangsgeldandrohung seine ESt-Erklärung für 2001 am 3.3.2004 beim FA ein. Neben positiven Lohneinkünften erklärte K Verluste aus Gewerbebetrieb (Beteiligung an T GmbH). Am 27.1.2004 lehnte das FA die Verlustfeststellung ab, am 12.8.2004 die Durchführung der Veranlagung zur ESt 2001; dies wurde bestandskräftig. Am 21.12.2005 erging für die T GmbH ein Verlustfeststellungsbescheid für 2001 (Verlust 47.327 DM). Nun beantragte K erneut die ESt-Veranlagung 2001; das FA lehnte ab. Die Klage war aber erfolgreich (FG München, Urteil vom 5.5.2011, 7 K 601/09, Haufe-Index 2719687, EFG 2011, 1706).
Entscheidung
Der BFH hob aus den in den Praxis-Hinweisen erläuterten Erwägungen die Vorentscheidung auf und wies die Klage auf Durchführung der ESt-Veranlagung ab.
Hinweis
Der Besprechungsfall hat, wie eine Reihe von Urteilen zu § 46 EStG zuvor, seinen Ausgangspunkt bei § 46 EStG a.F. und eine daran anknüpfende Vorlage des Lohnsteuersenats an das BVerfG. Das BVerfG konnte diese allerdings nicht entscheiden, nachdem der Gesetzgeber § 46 EStG schnell entsprechend geändert hatte. Allerdings gingen mit dieser Rechtsänderung streitanfällige Fragen zum Übergangsrecht einher:
1. Im Streitfall schied eine Amtsveranlagung aus. Denn § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG erfordert eine positive Summe der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte; die alte Rechtslage (positive oder negative Einkünfte, dazu BFH, Urteil vom 21.9.2006, VI R 47/05, BFH/NV 2006, 2364, BFH/PR 2006, 474) hatte der Gesetzgeber rückwirkend geändert. Auf die verfassungsrechtliche Rückwirkungsfrage kam es hier aber nicht an, denn es lag schon eine bestandskräftige Ablehnung einer Veranlagung vor.
2. Bekanntermaßen hielt der Lohnsteuersenat die Zweijahresfrist in § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG i.d.F. des Streitjahres 2001 für verfassungswidrig und legte die Frage dem BVerfG zur Prüfung vor (BFH, Beschluss vom 22.5.2006, VI R 46/05, BFH/NV 2006, 1946, BFH/PR 2006, 476). Allerdings kam es auch auf diese Frist wiederum wegen der bestandskräftigen Ablehnung nicht an. Und aus demselben Grund griff auch nicht die Übergangsregelung (§ 52 Abs. 55j Satz 4 EStG i.d.F. des StVereinfG 2011; früher § 52 Abs. 55j Satz 2 i.d.F. des JStG 2008). Denn die erfordert u.a., dass am 28.12.2007 über einen Antrag auf Veranlagung zur ESt noch nicht bestandskräftig entschieden war (BFH, Urteile vom 15.1.2009, VI R 23/08, BFH/NV 2009, 755, BFH/PR 2009, 253; vom 12.11.2009, VI R 1/09, BFH/NV 2010, 514, BFH/PR 2010, 135). Ein neues Antragsrecht erwuchs daraus nicht. Daher konnten auch Ks erneute späteren Anträge auf Veranlagung nicht mehr helfen (dazu BFH, Urteil vom 14.4.2011, VI R 82/10, BFH/NV 2011, 1504). Und schließlich folgte auch aus § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO keine Veranlagungspflicht. Denn § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO erweitert nicht den Katalog der Veranlagungstatbestände.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 9.2.2012 – VI R 34/11