Leitsatz
Ein Widerstreit zwischen einem inländischen und einem ausländischen Steuerbescheid liegt nicht vor, wenn derselbe Sachverhalt im Ausland bei der Bemessungsgrundlage für die Steuer und im Inland im Rahmen des Progressionsvorbehalts hätte berücksichtigt werden können.
Normenkette
§ 174 Abs. 1 AO, Art. 8 Abs. 1 und 2, Art. 10 Abs. 1 DBA-Schweiz, § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 15 Abs. 1 Nr. 2, § 19 Abs. 1 und 2 ErbStG 2009
Sachverhalt
Die Erblasserin (E) war Schweizer Staatsangehörige und wohnte in der Schweiz; zu ihrem Nachlass gehörten in der Schweiz gelegene Grundstücke. Nach dem Tod der E im Jahr 2009 setzte die schweizerische Finanzbehörde Erbschaftsteuer fest, wobei der Vermögensanfall die Grundstücke in der Schweiz einschloss (die Klägerin ist bereits die Gesamtrechtsnachfolgerin des Erben der E).
In 2011 wurde in Deutschland nach Eingang einer Erbschaftsteuererklärung ebenfalls Steuer festgesetzt, wobei auch das in der Schweiz gelegene Grundvermögen in die Bemessungsgrundlage mit einbezogen wurde. Die Erbschaftsteuer des Schweizer Fiskus wurde angerechnet; der Erbschaftsteuerbescheid wurde mangels Einspruchs bestandskräftig.
Einen Änderungsantrag wegen widerstreitender Steuerfestsetzungen lehnte das FA ab. Die Vorinstanz (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 20.10.2015, 11 K 3775/12, Haufe-Index 8841211, EFG 2016, 98) gab der hiergegen erhobenen Klage dagegen statt. Zur Begründung führte das FG aus, "Steuerfestsetzung" könne auch ein Bescheid der schweizerischen Finanzbehörde sein. Es lägen widerstreitende Festsetzungen vor, weil das in der Schweiz gelegene Grundstück nur dort besteuert werden dürfe. Das FA hat mit der Revision die Verletzung des § 174 Abs. 1 Satz 1 AO gerügt.
Entscheidung
Die Revision des FA ist begründet; die Voraussetzungen eines positiven Widerstreits zulasten des Steuerpflichtigen nach § 174 Abs. 1 Satz 1 AO liegen nicht vor.
Ein Widerstreiten setzt voraus, dass die in den betroffenen Bescheiden vorgenommenen Regelungen aufgrund der materiellen Rechtslage nicht miteinander vereinbar und daher widersprüchlich sind. Die Berücksichtigung eines Sachverhalts bedeutet, dass dieser dem FA bei der Entscheidungsfindung bekannt war und als Entscheidungsgrundlage herangezogen und verwertet worden ist.
Ein solcher "Widerstreit" liegt im Streitfall jedoch nicht vor. Das schweizerische FA durfte den Grundstückserwerb von Todes wegen besteuern und den Wert der in der Schweiz gelegenen Grundstücke als Bemessungsgrundlage heranziehen. Daneben war aber der Erwerb der Grundstücke gemäß den Regelungen des Doppelbesteuerungsabkommens mit der Schweiz i.V.m. § 19 Abs. 2 ErbStG bei der Festsetzung der Steuer für den übrigen in Deutschland steuerbaren Nachlass im Rahmen des Progressionsvorbehalts zu berücksichtigen. Deshalb war die mehrfache Erfassung der Sachverhaltsgrundstücke zulässig.
Hinweis
Der Besprechungsfall handelt von einem positiven Widerstreit zulasten des Steuerpflichtigen bei der Steuerfestsetzung. Streitig war, ob in der Schweiz belegene Grundstücke im Ergebnis sowohl dort als auch in Deutschland der Erbschaftsbesteuerung unterworfen werden dürfen. Diese Frage ist nach § 174 Abs. 1 Satz 1 AO unter Anwendung des Doppelbesteuerungsabkommens Schweiz zu beantworten.
Im Doppelbesteuerungsabkommen ist das Besteuerungsrecht zwar der Schweiz zugewiesen, sodass bei einer gleichzeitigen Besteuerung in Deutschland die ungerechtfertigte Doppelerfassung im Sinne eines Widerstreits naheliegt. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass Deutschland jedenfalls im Rahmen des sog. "Progressionsvorbehalts" auch eine Art Besteuerung vornehmen darf: Der Wert der Grundstücke wird zwar nicht in die Bemessungsgrundlage der Erbschaftsteuer miteinbezogen. Die Höhe des Steuersatzes richtet sich aber nach dem Erwerb einschließlich der Grundstücke. Insofern liegt also im Ergebnis keine unzulässige Doppelerfassung des Lebenssachverhalts "Grundstück in der Schweiz" vor.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 20.03.2019, II R 61/15BFH, Urteil vom 20.3.2019 – II R 61/15