In den ersten Jahren folgen alle digitalen Geschäfte einem eigenen Wertschöpfungspfad mit geringer Relevanz für die Gewinn- und Verlustrechnung (GuV). Nachfolgend werden die drei Phasen mit ihren Eigenschaften, ihren Besonderheiten und ihren operativen Kennzahlen erläutert.
2.1 Phase I: Frühe Wachstumsphase
Ein Start-up hat in der frühen Phase das Ziel, eine große Nutzerbasis zu schaffen und einen Netzwerk-Effekt zu generieren (s. Abb. 2). Netzwerk-Effekte drücken aus, dass das Verhalten einer Person mindestens das Interesse (B2C) oder das Wohlergehen (B2B) einer anderen Person beeinflusst. Das bedeutet, je mehr Nutzer hinzukommen, desto mehr Skaleneffekte entstehen und die Attraktivität steigt für weitere unentschlossene Personen/Unternehmen weiter an, sich als Nutzer dem Netzwerk anzuschließen. Die meisten Unternehmen und Kapitalgeber sind sich sicher, dass Technologiemärkte nach dem Prinzip "Gewinner-erhält-am-Meisten" funktionieren. Das Unternehmen, das sich früh etablieren kann, wird mit überproportionalem Anteil profitieren.
Abb. 2: Schaffung einer großen Nutzerbasis und Generierung eines Netzwerk-Effekts in den ersten Jahren
In dieser Phase ist es wichtig, dass das Minimum Viable Product (MVP) den Sprung erst von den Innovatoren zu den Erstanwendern schafft, sich dann aber auch weiter zu den Nutzern der Frühen Mehrheit ausbreitet. Das Wachstum der Userbasis wird weiter beschleunigt, in dem das MVP angepasst oder zusätzliche neue Features/Services angeboten werden, die andere "Innovatoren" und "Erstanwender" als neue Nutzer ansprechen. In Abb. 3 sind Verhalten und die Gründe der Kunden für die 5 Gruppen Innovatoren, Erstanwender, Frühe Mehrheit, Späte Mehrheit und Nachzügler beschrieben. In der frühen Phase muss der Sprung von den Innovatoren und Erstanwendern zur Mehrheit erreicht werden, da Innovatoren und Erstanwender nur 16 % der ganzen Nutzerbasis darstellen.
Abb. 3: Klassische Einführungskurve zeigt nur 16 % Erstanwender
Um das Nutzerwachstum zu fördern, ist die Minimierung von Hürden für die Akquise entscheidend. Dafür können die Erfolgsfaktoren oder Probleme in einem Customer Funnel als KPIs herangezogen werden (s. Abb. 4).
- Wie viel Prozent der Adressaten eines Newsletters besuchen die Homepage?
- Was interessiert, was interessiert den Besucher nicht an der Homepage?
- Wie viele steigen aus vor der Nutzer-Registrierung?
- Warum wird eine Registrierung abgebrochen? Im B2C Bereich bricht der Customer Funnel häufig im Eingabebereich persönlicher Daten oder die Frage nach der Kontonummer ab.
- Welche Services werden nach der Erstanmeldung genutzt?
- Wie viele User kommen wieder für weitere Services?
Abb. 4: Customer Funnel neu definiert
Im Gegensatz zu klassischen Wachstumsmodellen einer Produkterweiterung oder einer regionalen Ausbreitung mit linearen Wachstumskoeffizienten bieten digitale Produkte die Option auf exponentielle Wachstumskurven von Nutzern. Wie oben beschrieben sind eine kontinuierliche Pipeline von neuen Services/Features und die Nutzerregistrierung ohne Hürden der differenzierende Faktor zwischen erfolgreichen und erfolglosen Start-ups und digitalen Wachstumsprojekten.
In dieser Phase gibt es erste Ansätze, Services mit Gebühren anzubieten, die einen Mehrwert für den User bzw. eine Wertschöpfungssteigerung für Unternehmen erzielen. Insgesamt haben die steigenden Userzahlen und die sehr kleinen Umsätze keinen wesentlichen Einfluss auf die GuV, so dass in dieser frühen Phase die GuV und der Cash keine Relevanz für die Beurteilung des Start-ups haben kann. Der Cash-Out und die GuV eines guten Start-ups/Projekts im Vergleich zu einem schlechten Start-up/Projekt ist für das Management keine Steuerungsgröße. Hier sollten im Fokus stehen:
- die Größe der Userbasis,
- das User Wachstum der letzten Wochen/Monate,
- die KPIs im Customer Funnel,
- die Maßnahmen zur Reduzierung der Hürden im Customer Funnel und
- der Launchplan neuer Services (Features).
Die Beispiele von Amazon und Facebook zeigen, wie durch die kontinuierliche Hinzunahme neuer Features die Nutzerzahlen in einer exponentiellen Kurve ansteigen (Abb. 5). Es wird jedoch deutlich, dass auch diese Unternehmen in den ersten 2-3 Jahren sehr flach gewachsen sind, bevor der Wachstumsquotient neuer Nutzer stark ansteigt.
Abb. 5: Wachstum der Nutzerzahlen in Abhängigkeit neue gelaunchter Services (Features)
2.2 Phase II: Späte Wachstumsphase
Der Wechsel von der frühen in die späte Phase wird dadurch gekennzeichnet, dass neue Services (Features) eingeführt werden, die neben der Nutzergewinnung hauptsächlich die Generierung von Umsätzen verfolgen. Für ein wirtschaftlich erfolgreiches Start-up/Projekt ist dieser Schritt entscheidend. Häufig gibt es bei der Ermittlung des Einführungspreises bisher keine ähnlichen Services für einen Vergleich. Des Weiteren muss dieser Service neben neuen Nutzern vor allem die große Basis der bestehenden Nutzer ansprechen und zum Kauf anregen. Dadurch kann ein Umsatzwachstum erzielt werden, das größer als das Nutzerwachstum ist. Die Erwartung der Nutzer ist, dass ein digitales Produkt in kurzen Zyklen n...