Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
Zusammenfassung
Schenkungen unter Lebenden sowie Erwerbe von Todes wegen unterliegen der Erbschaftsteuer (Schenkungsteuer). Dabei werden alle von derselben Person stammenden Erwerbe innerhalb eines Zeitraums von 10 Jahren zusammengerechnet. Der persönliche Freibetrag, der in Abhängigkeit des individuellen Naheverhältnisses unterschiedlich hoch ist, wird für alle diese Zuwendungen nur einmal gewährt.
Unter bestimmten Voraussetzungen kann es zur Ausnutzung der persönlichen Freibeträge innerhalb einer Familie sinnvoll sein, Schenkungen nicht direkt an einen Begünstigten auszuführen, sondern über eine Kette von Schenkungen. Allerdings setzt dies voraus, dass der Eingeschaltete tatsächlich die freie Dispositionsbefugnis über die Zuwendung haben muss.
Die Kettenschenkung ist gesetzlich nicht geregelt. Steuerrechtlich wird Sie jedoch nicht anerkannt, wenn Sie zu einem Gestaltungsmissbrauch nach § 42 AO führt.
1 Erbschaftsteuerrechtliche Voraussetzungen
Ein erbschaftsteuerrechtlicher (schenkungsteuerrechtlicher) Vorgang setzt voraus, dass von einer Person einer anderen Person ein Vermögensvorteil willentlich zugewendet wird. Diese Zuwendung kann von Todes wegen oder als Schenkung unter Lebenden erfolgen. Darüber hinaus muss auch die persönliche Steuerpflicht nach § 2 Abs. 1 ErbStG vorliegen. Unbeschränkte persönliche Steuerpflicht ist dann gegeben, wenn zumindest einer der an dem Erwerbsvorgang beteiligten Personen seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort im Inland hat.
Entscheidend für die Berechnung einer Erbschaft- oder Schenkungsteuer ist die Einstufung des Begünstigten in eine Steuerklasse, § 15 ErbStG. Die maßgebliche Steuerklasse ergibt sich in Abhängigkeit des Verwandtschaftsverhältnisses zum Zuwendenden. Die persönlichen Freibeträge ergeben sich ebenfalls in Abhängigkeit des Näheverhältnisses zum Zuwendenden.
Steuerklasse |
Personenkreis |
Freibetrag seit 1.1.2009 |
I |
Ehegatte und gleichgeschlechtlicher Lebenspartner bei einer eingetragenen Lebenspartnerschaft |
500.000 EUR |
Kinder, Stiefkinder, Kinder verstorbener Kinder und Stiefkinder |
400.000 EUR |
Enkelkinder |
200.000 EUR |
Eltern und Großeltern bei Erbschaften |
100.000 EUR |
II |
Eltern und Großeltern bei Schenkungen Geschwister Neffen und Nichten Stiefeltern, Schwiegereltern Geschiedene Ehegatten |
20.000 EUR |
III |
alle übrigen Beschenkten und Erwerber (z. B. Tanten, Onkel, nicht verwandte Personen); Zweckzuwendungen |
20.000 EUR |
Nur einmalige Gewährung des Freibetrags innerhalb von 10 Jahren
Der persönliche Freibetrag kann für von derselben Person erhaltene Zuwendungen innerhalb von 10 Jahren nur einmal gewährt werden; mehrere Erwerbe innerhalb dieses Zeitraums müssen zusammen gerechnet werden.
Die Zusammenrechnung mehrerer Erwerbe innerhalb des 10-Jahreszeitraums ist notwendig, damit nicht höhere Beträge in Einzelzuwendungen aufgespalten werden können.
Zusammenrechnung mehrerer Erwerbe
Vater V wollte seiner Tochter T insgesamt einen Betrag i. H. v. 800.000 EUR zuwenden. Im Mai 2022 hatte er der T 400.000 EUR zugewendet, im Januar 2023 wendet er ihr weitere 400.000 EUR zu.
Bei der Zuwendung im Mai 2022 entsteht keine Schenkungsteuer, da die Zuwendung nicht den persönlichen Freibetrag von 400.000 EUR nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG übersteigt. Bei der weiteren Zuwendung im Januar 2023 erfolgt nach § 14 Abs. 1 ErbStG eine Zusammenrechnung, sodass vor Berücksichtigung des persönlichen Freibetrags eine Zuwendung i. H. v. 800.000 EUR zu berücksichtigen ist. Nach Abzug des persönlichen Freibetrags von 400.000 EUR unterliegen 400.000 EUR der Schenkungsteuer. Nach § 19 Abs. 1 ErbStG ergibt sich eine Schenkungsteuer von 60.000 EUR (15 %).
Die Berechnung der Fristen nach § 14 Abs. 1 ErbStG erfolgt dabei tagesgenau, ob das Ende der Frist auf ein Wochenende fällt (vgl. § 108 Abs. 3 AO) ist dabei unbeachtlich.
2 Ausnutzung von persönlichen Freibeträgen
Bei Zuwendungen zwischen 2 Personen, die über den persönlichen Freibetrag hinausgehen, kann überlegt werden, ob unter Einschaltung einer dritten Person (sog. Durchgangs- oder Mittelsperson) eine Optimierung durch Ausnutzung mehrerer Freibeträge erfolgen kann.
Trennung von Zuwendungen
Vater V möchte seiner Tochter T insgesamt einen Betrag i. H. v. 800.000 EUR zuwenden. Direkt wendet er der T einen Betrag i. H. v. 400.000 EUR zu. Seiner Ehefrau wendet der V ebenfalls 400.000 EUR zu, die dann ihrer Tochter die 400.000 EUR zuwendet.
Würde der V seiner Tochter die 800.000 EUR direkt zuwenden, würde sich eine Schenkungsteuer von 60.000 EUR ergeben (s. o.). Bei der Aufspaltung der Schenkungen ergibt sich insgesamt keine Schenkungsteuer, da die Schenkungen jeweils unter den persönlichen Freibeträgen liegen.
Nichtanerkennung wegen Gestaltungsmissbrauch
Die Anerkennung der Aufteilung der Schenkungen ist davon abhängig, dass der eingeschaltete Dritte eine eigen...