Leitsatz
1. Die Ablehnung eines Antrags auf Freistellung von der Kraftfahrzeugsteuer kann inzident durch die Festsetzung der Kraftfahrzeugsteuer erfolgen. Lehnt die Behörde einen Antrag auf Freistellung von der Kraftfahrzeugsteuer durch Verwaltungsakt ab und erhebt der Steuerpflichtige dagegen Klage, wird dieser Bescheid durch einen im Lauf des Klageverfahrens erlassenen Kraftfahrzeugsteuerbescheid i.S.v. § 68 FGO a.F. geändert.
2. Das Vertrauen des Beteiligten auf die richtige Sachbehandlung durch die Behörde und der darauf beruhende Verzicht auf die Einlegung eines Rechtsbehelfs, der an sich notwendig gewesen wäre, rechtfertigen die Annahme von höherer Gewalt regelmäßig nicht.
3. Eine Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 5a KraftStG setzt nicht voraus, dass Transportleistungen zur Linderung einer akuten humanitären Notlage durchgeführt werden, sofern die Hilfsgüter zur Deckung des existenznotwendigen Bedarfs dienen; Waren, die im Rahmen einer Aufbau- und Entwicklungshilfe zur Verbesserung der allgemeinen wirtschaftlichen Lage der Bevölkerung notwendig sind oder dem wirtschaftlichen Wiederaufbau dienen, gehören jedoch nicht zu den Hilfsgütern.
Normenkette
§ 3 Nr. 5a KraftStG , § 55 Abs. 2 Satz 1 FGO , § 56 FGO , § 68 a.F. FGO
Sachverhalt
Eine gemeinnützige Hilfsorganisation führte mit ihren Fahrzeugen Transporte von verschiedenen Waren nach Russland durch, die zur Linderung der dortigen Notlage der Bevölkerung dienen sollten. Dafür beantragte sie Kfz-Steuerbefreiung.
Das FA lehnte den Befreiungsantrag ab. Nach Klageerhebung gegen diese Entscheidung erließ es mehrere Kfz-Steuerbescheide. Deren Vollziehung setzte es jedoch aus, obwohl der Kläger die Bescheide gar nicht angriff, insbesondere auch keinen Antrag nach § 68 a.F. FGO gestellt hatte. Vielmehr hatten FA und Kläger das vorgenannte Klageverfahren weiterbetrieben, so als ob die Kfz-Steuerbescheide nach einem Obsiegen des Klägers (gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO?) automatisch hätten geändert werden müssen.
Erst auf Hinweis des FG in der mündlichen Verhandlung stellte der Kläger den Antrag nach § 68 FGO a.F.; die maßgebliche Jahresfrist des § 68 Abs. 1 FGO a.F. i.V.m. § 55 Abs. 2 FGO war in diesem Zeitpunkt bereits abgelaufen.
Entscheidung
1. Der BFH sah die Kfz-Steuerbescheide als Änderungsbescheide zu dem vorher ergangenen Ablehnungsbescheid an; denn dieser Bescheid sei kein Grundlagenbescheid für die Kfz-Steuerfestsetzung, sondern deren vorweggenommener Teil. Folglich nähmen die nachfolgenden Kfz-Steuerbescheide seinen Regelungsgehalt nach Art eines Änderungsbescheids in sich auf, so dass sie nach § 68 FGO a.F. zum Gegenstand des bereits anhängigen Klageverfahrens hätten gemacht werden müssen.
Wiedereinsetzung in die versäumte Frist für einen Antrag nach § 68 FGO a.F. – hier mangels Belehrung eine Jahresfrist – könne dem Kläger entgegen der Ansicht des FG nicht gewährt werden; die Frist des § 55 Abs. 2 FGO sei eine nicht wiedereinsetzungsfähige Ausschlussfrist.
Der BFH hat jedoch einen Fall höherer Gewalt angenommen, weil außergewöhnliche Umstände vorlagen: dem rechtskundig nicht vertretenen oder beratenen Kläger musste nach dem gesamten Verhalten des FA die mit der Klage angegriffene Entscheidung über seinen Befreiungsantrag wie ein Grundlagenbescheid erscheinen, er durfte diese Handhabung des Verfahrens seitens des FA als nahe liegend ansehen und in dessen Verhalten umso mehr Vertrauen setzen, als es sich aus seiner Sicht um ein beim FA häufig vorkommendes Routineverfahren handelte. Die Verfristung des Antrages fiel also dem Kläger nicht zur Last.
2. Der BFH hat den Rechtsstreit an das FG zur weiteren tatsächlichen Aufklärung zurückverwiesen. Denn es müsse genau festgestellt werden, welche Art von Gütern transportiert worden sind. Steuerbefreiung sei nur zu gewähren, wenn, und zwar ausschließlich, humanitäre Hilfsgüter wie Medikamente, medizinische Geräte, Nahrungsmittel, Kleidung, Decken, Notunterkünfte u.Ä. transportiert worden sind. Waren, die allgemein einer Aufbau- und Entwicklungshilfe zur Verbesserung der allgemeinen wirtschaftlichen Lage der Bevölkerung dienen, gehörten nicht zu den Hilfsgütern in diesem Sinn. Eine akute Notlage wie nach einem Erdbeben oder dgl. sei allerdings für die Steuerbefreiung entgegen der Ansicht des FA nicht Voraussetzung.
Hinweis
Grundlagenbescheide gibt es nur dort, wo sie gesetzlich vorgeschrieben sind (vgl. § 179 Abs. 1 AO), d.h. wo sich aus dem Gesetz ergibt, dass eine Entscheidung Bindungswirkung für eine andere (steuerrechtliche) Entscheidung haben soll. Die bindende Entscheidung kann eine Entscheidung sogar derselben Steuerbehörde sein, ist aber in der Regel die Entscheidung einer anderen Behörde und kann auch von einer nicht steuerlich tätigen Verwaltungsbehörde erlassen werden. Das KraftStG indes sieht eine gesonderte Vorab-Entscheidung über Steuerbefreiungen (§ 3 KraftStG) gar nicht vor, erst recht nicht, dass über die Steuerbefreiung ein Grundlagenbescheid zu erlassen ist oder erlassen werden darf.
Wird gleichwohl gesonde...