Leitsatz
1. Während eines mehrjährigen Auslandsaufenthalts zum Zwecke einer Berufsausbildung behält ein Kind seinen Wohnsitz in der Wohnung der Eltern im Inland im Regelfall nur dann bei, wenn es diese Wohnung zumindest überwiegend in den ausbildungsfreien Zeiten nutzt (Bestätigung des Senatsurteils vom 25.9.2014, III R 10/14, BFHE 247, 239). Nicht erforderlich ist hingegen, dass das Kind den weit überwiegenden Teil der ausbildungsfreien Zeit im Inland verbringt.
2. Bei mehrjährigen Auslandsaufenthalten zum Zwecke einer Berufsausbildung unterscheiden sich die Anforderungen an das Innehaben der inländischen Wohnung nicht danach, ob es sich um die Anfangsphase der Berufsausbildung oder eine spätere Phase handelt.
3. Für die Frage, ob das Kind während des Auslandsaufenthalts einen inländischen Wohnsitz beibehalten oder begründet hat, können auch außerhalb des jeweiligen kindergeldrechtlichen Streitzeitraums liegende tatsächliche Umstände berücksichtigt werden.
Normenkette
§ 63 Abs. 1 Satz 3, § 32 Abs. 1, Abs. 6 EStG, § 8 AO
Sachverhalt
Der Kläger, deutscher Staatsangehöriger chinesischer Herkunft, ist Vater eines 1994 geborenen Sohnes (S), der seine schulische Ausbildung im Juli 2012 beendet hat. Vom 10.9.2012 bis 15.7.2013 absolvierte S einen Sprachkurs in China und entschied sich danach für ein im September 2013 beginnendes vierjähriges Bachelorstudium in China.
Während des Studiums wohnte S in einem Studentenwohnheim. Dort stand ihm nur Platz zur Unterbringung der notwendigsten Kleidungsstücke und Unterrichtsmaterialien zur Verfügung. Verwandtschaftliche Beziehungen bestanden am Studienort nicht. Aus den vom Kläger vorgelegten Flugtickets ergaben sich Inlandsaufenthalte vom 15.7.2013 bis 30.8.2013 und vom 10.7.2014 bis 28.8.2014. Ein weiterer Flug nach Deutschland war für den 11.1.2015 geplant. Während der Inlandsaufenthalte war S in der elterlichen Wohnung in seinem Kinderzimmer untergebracht.
Die Familienkasse hob die Kindergeldfestsetzung ab September 2013 auf und forderte das bereits ausgezahlte Kindergeld zurück. Der dagegen gerichtete Einspruch blieb ohne Erfolg. Das FG Nürnberg (Urteil vom 23.10.2014, 6 K 441/14, Haufe-Index 7539700, EFG 2015, 233) gab der Klage statt.
Entscheidung
Der BFH wies die Revision der Familienkasse als unbegründet zurück.
Hinweis
1. Für Kinder, die keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, einem EU-Mitgliedstaat oder einem EWR-Staat haben und die auch nicht im Haushalt eines Berechtigten i.S.d. § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG leben, wird kein Kindergeld gewährt (§ 63 Abs. 1 Satz 3 EStG). Das Existenzminimum dieser Kinder wird dann nur durch die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG von der Besteuerung freigestellt, die keine unbeschränkte Steuerpflicht des Kindes voraussetzen, aber bei Aufenthalt in "armen" Wohnsitzstaaten gekürzt werden (§ 32 Abs. 6 Satz 4 EStG).
2. Zur Beibehaltung des inländischen Wohnsitzes (§ 8 AO) von Kindern, die im Ausland die Schule besuchen oder studieren, gibt es umfangreiche Rechtsprechung, die hinsichtlich der erforderlichen Inlandsaufenthalte unterschiedlich streng ausfällt. Da es bei den Begleitumständen des Innehabens einer Wohnung weitgehend um Tatsachenwürdigung geht, sind FG-Urteile insoweit nur eingeschränkt revisibel (§ 118 Abs. 2 FGO). Nichtzulassungsbeschwerden sind selten erfolgreich, weil die einschlägigen Rechtsgrundsätze geklärt sind und eine falsche Rechtsanwendung im Einzelfall grundsätzlich nicht zur Zulassung der Revision führt. Der BFH hat allerdings einige Entscheidungen korrigiert, in denen – wie hier von der Familienkasse – das BFH-Urteil vom 28.4.2010, III R 52/09 (BFH/NV 2010, 1542; BFH/PR 2010, 330), wonach eine Aufenthaltsdauer von jährlich fünf Monaten in der Wohnung der Eltern genügt, um einen inländischen Wohnsitz beizubehalten, dahin missverstanden worden war, dass in jedem Fall ein Inlandsaufenthalt von mindestens fünf Monaten erforderlich sei.
3. Der inländische Wohnsitz wird regelmäßig beibehalten, wenn das Kind sich weniger als ein Jahr im Ausland aufhält. Dies gilt auch dann, wenn ein zunächst auf weniger als ein Jahr angelegter Auslandsaufenthalt (z.B. Sprachkurs, Au-pair-Aufenthalt) in einen mehrjährigen Aufenthalt (z.B. Studium) übergeht.
4. Das wesentliche Kriterium für die Beibehaltung des inländischen Wohnsitzes während eines mehrjährigen Zeitraums (hier: Bachelorstudium in China) ist das Verhältnis der Dauer der ausbildungsfreien Zeiten zu den Inlandsaufenthalten: Die ausbildungsfreien Zeiten müssen überwiegend in der inländischen Wohnung verbracht werden (nicht wie die Familienkasse meint "weit überwiegend"). Ob die Inlandsaufenthalte in den Streitzeitraum fallen, ist unerheblich. Kindergeldberechtigte sollten beachten, dass sie die Feststellungslast tragen, soweit die Ausbildung z.B. durch Anfertigung von Hausarbeiten auch in vorlesungsfreien Zeiten (Semesterferien) betrieben wird.
Unzureichende Inlandsaufenthalte können nicht deshalb unberücksichtigt bleiben, weil sie auf finanziellen Gründen beruhen. ...