Dr. Hubertus Gschwendtner
Leitsatz
Eine Rentennachzahlung (Halbwaisenrente) für das Vorjahr an ein in Ausbildung befindliches Kind ist bei der Ermittlung des Jahresgrenzbetrags i.S.v. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG mit dem Nachzahlungsbetrag im Jahr des Zuflusses zu berücksichtigen.
Normenkette
§ 11 EStG , § 32 Abs. 4 EStG
Sachverhalt
Die 1977 geborene Tochter der Klägerin war bis zum 26.6.1997 in Berufsausbildung. Sie erhielt ab März 1997 eine monatliche Halbwaisenrente. Die Rentennachzahlung für die Zeit vom Tod ihres Vaters im Mai 1996 bis Februar 1997 erhielt sie im Januar 1997.
Der Beklagte hob die Kindergeldfestsetzung für 1997 auf und forderte das überzahlte Kindergeld für dieses Jahr zurück, weil der für 1997 maßgebliche Grenzbetrag überschritten sei.
Entscheidung
FG (EFG 2001, 1305) und BFH bestätigten diese Ansicht. Die Waisenrente gehöre zu den Einkünften und Bezügen des Kindes i.S.v. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG; sie sei deshalb mit ihrem Ertragsanteil abzüglich des Werbungskostenpauschbetrags gem. § 9a Satz 1 Nr. 1c EStG 1997 und mit ihrem Kapitalanteil abzüglich der Unkostenpauschale in Höhe von 360 DM zu erfassen. Die Nachzahlung sei ungekürzt im Jahr des Zuflusses anzusetzen. Das ergebe sich aus dem Zuflussprinzip des § 11 Abs. 1 EStG und aus dem mit § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG verfolgten Zweck, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Kindes zu berücksichtigen.
Hinweis
Nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG sind Kinder in Berufsausbildung beim Kindergeld nur zu berücksichtigen, wenn ihre Einkünfte und Bezüge den jeweiligen Jahresgrenzbetrag nicht überschreiten. Die Prüfung der sachlichen Zurechnung ergibt, dass Waisenrenten teils zu den Einkünften und teils zu den Bezügen gehören. Fraglich war die zeitliche Zurechnung, wenn z.B. Vorauszahlung oder Nachzahlungen geleistet werden.
Hier stritten zwei Prinzipien um die Vorherrschaft: Das § 32 Abs. 4 Satz 7 zu entnehmende Prinzip der wirtschaftlichen Zurechnung und das nach § 11 EStG für die Ermittlung der Überschusseinkünfte maßgebliche Zuflussprinzip. Nunmehr ist die Rechtslage geklärt: Es gibt keine jahresübergreifende wirtschaftliche Zurechnung; diese ist auf die Monate innerhalb des Jahres beschränkt, in denen die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 EStG vorliegen bzw. nicht vorliegen. Die jährlich anzusetzenden Beträge sind nach dem Zuflussprinzip zu ermitteln.
Im Streitfall ging die Anwendung dieses Prinzips zu Lasten des Kindergeldberechtigten. Es kann sich aber auch zu seinen Gunsten auswirken. Das ist dann der Fall, wenn die Verteilung des Nachzahlungsbetrags auf die Jahre, auf die er bei rechtzeitiger Auszahlung entfallen wäre, zu einer Überschreitung des Jahresgrenzbetrags dieser Jahre führen würde. Damit schließt das Zuflussprinzip die nachträgliche Aufhebung der Kindergeldfestsetzung zu Lasten des Kindergeldberechtigten für die zurückliegenden Jahre aus.
Das gilt selbst dann, wenn dem Unterhaltsverpflichteten ein Erstattungsanspruch in der Höhe zustehen sollte, in der sich der Unterhaltsanspruch des Kindes bei rechtzeitiger Bewilligung der Rente ermäßigt hätte (zum Streitstand vgl. u.a. Staudinger/Kappe, Kommentar zum BGB, 12. Aufl., § 1602, RZ 22-24). Denn die Unterhaltszahlungen belasten den Steuerpflichtigen im Zeitpunkt der Bedürftigkeit des Kindes.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 16.4.2002, VIII R 76/01